Archiv der Kategorie: Innen und Rechtspolitik

Radio-Interview zu Veranstaltung in Berlin, u.a.

Zu den beiden Veranstaltungen in Berlin und in einer ostdeutschen Stadt vom 13. und 14. Oktober 2023 findet sich auf der Seite von Radio Dreyeckland auch ein rund 15-minütiges Interview welches Fabian mit mir am 20.10.2023 geführt hat:

https://rdl.de/beitrag/die-bedeutung-von-soliarbeit-f-r-politische-gefangene

Grundrechte-Report 2023 – eine Rezension

Seit 1997 dokumentieren verschiedenste Bürgerrechtsorganisationen in ihren Jahresberichten den zweifelhaften Umgang des Staates mit den Grundrechten. Vor wenigen Wochen erschien des Jahresbericht 2023 und bezeugt in 38 Beiträgen wie staatliche Institutionen, Gerichte und Politik mit verfassungsrechtlich verbürgten Grund- und Menschenrechten verfahren, diese aushöhlen und immer und immer wieder brechen.

Verfassungsrechtliche Theorie

Wer einen unbedarften Blick in das Grundgesetz wirft, stellt fest, es gibt zahlreiche Grundrechte: angefangen bei der Menschenwürdegarantie des Artikel 1 Grundgesetz (GG), über das Recht auf Leben in Freiheit in Art. 2 GG, dem Recht auf Asyl in Art. 16a GG und viele mehr. Alle staatlichen Gewalten, d.h. Exekutive, Judikative wie auch Parlamente, sind verpflichtet diese Grundrechte zu achten und es ist ihnen untersagt sie zu verletzen.

In ihren sogenannten „Verfassungsschutzberichten“ dokumentieren der Bund wie auch die 16 Bundesländer aus staatlicher Sicht, wie zivilgesellschaftliche Akteur*innen z.B. aus der politischen Linken sich angeblich verfassungswidrig verhalten. Mit ihren Jahresberichten wollen die Herausgeber*innen des Grundrechte-Reports und die sie tragenden Bürgerrechtsorganisationen wie die Humanistische Union, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, Pro Asyl und andere, dieser staatlichen Perspektive eine zivilgesellschaftliche Sicht und Haltung entgegenstellen. Sie dokumentieren, wie nicht nur in Einzelfällen, sondern durchaus auch systematisch die Grundrechtspositionen der Menschen in diesem Land ausgehöhlt werden.

Die Praxis vor Gericht, in Verwaltungen und Parlamenten

Aus den 38 Einzelbeiträgen, die allesamt ebenso lesenswert wie informativ sind, möchte ich nur fünf herausgreifen. Das Unterschreiten des Existenzminimums bei der Grundsicherung, die tödliche Polizeigewalt gegen Menschen in psychischen Krisensituationen, die Abschiebehaft zur Gefahrenabwehr, die Hessische Bonuszahlungen an Polizist*innen, sobald diese behaupten angegriffen worden zu sein, sowie schließlich das fortdauernde PKK-Verbot.

Die 1982 geborene Rechtsanwältin Sarah Lincoln arbeitet in ihrem Beitrag über die Verletzung des Artikel 1 GG („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) heraus, wie die hohe Inflation im Jahr 2022 dazu geführt hat, dass das verfassungsrechtlich notwendige Existenzminimum unterschritten wurde. Aber auch das zum 1.1.2023 eingeführte Bürgergeld, so die Autorin, habe keine strukturelle Verbesserung bewirkt, nach wie vor unterschreite der Betrag eklatant das Existenzminimum.

Ging es in dem Bericht von Lincoln darum, wie Menschen durch Vorenthalten von staatlichen Geldleistungen in existenzgefährdende Situationen geraten, widmet sich die für das Komitee der Grundrechte und Demokratie tätige Referentin Michèle Winkler tödlicher Polizeigewalt, wenn also die Polizei (aktiv) Menschen tötet!

„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, so steht es in Art. 2 GG, aber die Autorin dokumentiert mehrere Fälle tödlicher Polizeigewalt in Deutschland und ordnet diese dann in einen internationalen Kontext ein. Am 2.5.2022 starb in Mannheim der 47-jährige P., nachdem sein Arzt wegen möglicher akuter Eigengefährdung des Herrn P. die Polizei rief. Ein Video dokumentiert, wie Polizeibeamte auf ihm kniend Faustschläge gegen den Kopf versetzen. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft, was sonst fast nie geschieht, Anklage gegen beide Polizisten erhoben. So wie auch im Fall des am 8.8.2022 in Dortmund von Polizeikräften erschossenen 16-jährigen Geflüchteten Mouhamed. Er lebte in einer Jugendeinrichtung und war akut suizidal, weswegen ein Betreuer die Polizei rief. Die Polizei streckte Mouhamed mit Schüssen aus einer Maschinenpistole nieder. Lincoln führt aus, dass Menschen in psychischen Ausnahmesituationen besonders Gefahr liefen in Deutschland von der Polizei getötet zu werden und nimmt dabei auch Bezug auf die Polizeigewalt in den USA.

In dem dritten hier ausgewählten Beitrag aus dem Grundrechte-Report widmet sich die Dortmunder Professorin Christine Graebsch dem sich aus dem Art. 3 GG ergebenden Verbot der Diskriminierung von Menschen, die abgeschoben werden sollen und in Abschiebehaft landen, welche dann oftmals in regulären Gefängnissen vollzogen wird, obwohl dies nach EU-Recht untersagt ist. Unter dem Stichwort „Pre-Crime Unterbringung“ für Migrant*innen, skandalisiert die Autorin die Praxis der deutschen Justiz Menschen zu inhaftieren, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen.

Lukas Theune, Rechtsanwalt und Strafverteidiger, bespricht die schon 2021 im Hessischen Beamtenrecht eingeführte Regelung des §40 Absatz 7 Hess. Beamtenversorgungsgesetzes. Seitdem erhält jede*r Polizist*in Hessens einen pauschalen Bonus in Höhe von 2.000€, wenn sie/er angegriffen worden ist. Wer vermeldet angegriffen worden zu sein und deshalb Dienstunfall erlitten zu haben, darf sich über diese „Angriffsentschädigung“ freuen – wohlgemerkt die Polizist*innen, nicht etwa die von Polizeigewalt betroffenen Menschen in Hessen! Theune führt aus, dass solch eine Bonuszahlung Polizeikräften einen erheblichen Anreiz biete, noch mehr als schon bislang, angebliche Angriffe zu melden, was dann auch in den Statistiken zu steigenden Zahlen führen dürfte.

Der Heidelberger Rechtsanwalt Martin Heiming greift schließlich unter dem Stichwort „Alle Deutsche haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden“, so lautet Art. 9 GG, das seit nunmehr 30 Jahren geltende PKK-Verbot kritisch auf. Seit November 1993 ist die Kurdische Arbeiterpartei PKK in Deutschland verboten, Verstöße gegen das Verbot werden strafrechtlich hart geahndet und selbst Verlage, die Weltliteratur auf Kurdisch und CD‘s mit kurdischer Musik verlegen, wie der Mezopotamien-Buchverlag, werden als Teilorganisation eingestuft, verfolgt, enteignet und verboten. Heiming kommt zu dem resignierenden Schluss, dass Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit für kurdische Menschen in der BRD auf der Strecke bleiben würden.

Resümee

Wer hat heute noch die Zeit, sich täglich in aller Tiefe über die staatlichen Angriffe auf verfassungsrechtlich verbürgte Positionen zu informieren? Wohl die wenigsten. Meistens dürfte ein Überblick über das Geschehen in der eigenen Bubble zwar gegeben sein, aber der Gesamtüberblick droht im medialen Überangebot verloren zu gehen. Hier bietet das vorliegende Buch eine hervorragende Übersicht und Sammlung von relevanten und besorgniserregenden Entwicklungen. Jeweils versehen mit Fundstellen auf weiterführende Literatur sowie Querverweise. Das Stichwortverzeichnis verdient besondere Erwähnung und Lob, denn es ist erfreulich ausführlich und ermöglicht einen schnellen Zugriff auf bestimmte Artikel.

Bevor es des Lobs zu viel wird: die geäußerte Kritik der Autor*innen verbleibt meist innerhalb des (engen) staatlichen Korsetts. Es handelt sich folglich um konservative und nicht um eine emanzipatorische Kritik. Es wird eine gegebene Praxis als nicht in Übereinstimmung mit bestimmten Normen skandalisiert, meist ohne in den Blick zu nehmen, weshalb diese Normen gerade die hier kritisierten Praktiken letztendlich bedingen und wie nicht nur die Praktiken, sondern auch die entsprechenden Normen überwunden werden können, oder auch überwunden werden müssen.

Dies mindert schlussendlich nicht den Wert des Grundrechte-Reports, denn dieser lenkt, verbunden mit überregionaler Berichterstattung, deutlich den Blick auf elementare Grundrechtsverletzungen durch staatliche Institutionen!

Bibliografische Angaben zu dem rezensierten Buch:

Titel: „Grundrechte-Report 2023 – Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland“

Hrsg.: Derin, Gössner, Judith, Linkcoln, u.a.

Seiten: 222

Verlag: FISCHER Taschenbuch

ISBN: 978-3-596-70882-6

Preis: 14€

Rezensent:

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),

Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg

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Leserbrief von Thomas Meyer-Falk im „Neuen Deutschland“ vom 26.4.2023 zum Prozess gegen die 4 Antifaschist:innen in Dresden

Massive Einschüchterung
Zu »Lina-E.-Prozess«, Tagesthema 20.4., S. 2

Die meisten Ermittlungsverfahren nach Paragraf 129 Strafgesetzbuch (kriminelle Vereinigung), die gegen Linke geführt werden, enden mit der Einstellung, also ohne Anklage; der einschüchternde Effekt ist aber groß.
Oft jahrelange Bespitzelung (Abhören des Telefons, Mitlesen der Post und Mails), Observation und vieles mehr. Auch im Zuge des Verfahrens gegen Lina E. Gibt es breitflächige Struktur ermittlungen. Umso wichtiger er scheint mir das Zusammenstehen: Sich nicht einschüchtern lassen – trotz alledem!

Thomas Meyer-Falk, zzt. JVA Freiburg

Pressefreiheit nach schwäbischer Art – Streit mit Landgericht Stuttgart

Aktuell wird vor dem Verwaltungsgericht um die Entscheidung der Pressestelle des Landgerichts Stuttgart, jegliche Auskünfte über einen Strafprozess gegen einen Sicherungsverwahrten zu verweigern, gestritten.

Die Vorgeschichte

Anfang 2022 beurlaubte die JVA Freiburg, mit Zustimmung des Stuttgarter Justizministeriums, welches zur Zeit von einer CDU-Ministerin geführt wird, einen wegen pädokrimineller Taten inhaftierten Sicherungsverwahrten. Dieser wurde in eine betreute Einrichtung in der Nähe von Stuttgart beurlaubt. Nur drei Wochen später musste er in die JVA Freiburg, in den Hochsicherheitsbereich, zurück verlegt werden. Schnell kam das Gerücht auf, er sei straffällig geworden, was er vehement bestritt.

Die Berufungsverhandlung

Am 14.11.2022 kam es jedoch zu einer Berufungsverhandlung vor der kleinen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart, zu der der Freiburger Sicherungsverwahrte im Wege eines Einzeltransports vorgeführt wurde. Am 15.11.2022 beantragte ich bei der Pressestelle des dortigen Landgerichts Auskunft.

Der Auskunftsantrag

Unter Hinweis darauf, dass ich zum einen über Strafvollzug bloggen würde und zum anderem bei Radio Dreyeckland (https://www.rdl.de) Teil des Redaktionskollektivs sei, bat ich um Details zu Tatvorwurf und Urteil. Denn just als der Sicherungsverwahrte Anfang 2022 zurück in den Hochsicherheitsbereich verlegt wurde, mussten auch zwei weitere Insassen, die ihrerseits im „offenen Vollzug“ saßen, binnen kürzester Zeit wieder in den geschlossenen Bereich rückgeführt werden. Auch bei diesen handelte es sich um Sexualstraftäter, so dass ich für einen Bericht zu diesem Thema recherchierte.

Die Ablehnung durch die Pressestelle des LG Stuttgart

Mit erstem Schreiben vom 02.12.2022 verweigerte die Pressestelle jegliche Auskünfte, da der Fragesteller (also ich) ein Inhaftierter sei und man erteile (Mit-)Gefangenen keine Auskünfte. Als ich mich hierüber beschwerte und der Pressestelle eine pressefeindliche Haltung vorwarf, modifizierte mit Schreiben vom 03.02.2023 das Landgericht Stuttgart seine Haltung. Nunmehr wurde geltend gemacht, dass „erfahrungsgemäß Repressalien zwischen Gefangenen zu befürchten“ seien, würden Details bekannt.

Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart

Nunmehr liegt der Fall beim Verwaltungsgericht, da ich dort Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die beiden Bescheide sowie für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Erteilung der begehrten Auskünfte beantragt habe.

Ausblick

Um die Pressefreiheit auch in Deutschland scheint es nicht zum besten bestellt (vgl. jüngst die Razzia bei Radio Dreyeckland). Dass eine Behörde Auskünfte zu einem öffentlichen Prozess verweigert, erscheint abwegig. In dem Prozesskostenhilfeantrag habe ich zudem die Frage aufgeworfen, ob bei der Ablehnung der Auskünfte nicht viel eher der Umstand eine Rolle spiele, dass Aufsichtsbehörde der Pressestelle schlussendlich eben jenes Justizministerium sei, welches zuvor den umfangreichen Vollzugserleichterungen des Sicherungsverwahrten zugestimmt habe. Dass also das Justizministerium womöglich kein hohes Interesse an (kritischer) Berichterstattung haben könnte.


Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA (SV)
Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

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Vortrag und Diskussion zur Sicherungsverwahrung

Am Freitag, 10.02.2023 findet im „Haus der Jugend“ in Freiburg um 19.30 Uhr eine Veranstaltung zum Thema Sicherungsverwahrung statt.
Von Roter Hilfe und dem akj organisiert, wird die Dortmunder Professorin Dr. Graebsch historische Entwicklung und gegenwärtige Praxis der Sicherungsverwahrung näher beleuchten.

Nicht zuletzt durch die zum Beispiel in Bayern rigoros praktizierte Form des Unterbindungsgewahrsams gegen AktivistInnen der „Letzten Generation“, gewinnt die sogenannte „Pre-Crime“ Einsperrung weiter an Aktualität. Wer sich vorab schon informieren möchte, dem sei der sehr instruktive Beitrag von Frau Professorin Dr. Graebsch von November 2022 in „Neues Deutschland“ empfohlen (https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168354.sicherungsverwahrung-tiefer-eingriff-in-die-seele.html).

Thomas Meyer-Falk

z. Zt. JVA (SV),

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Stilanalye u.a. „linksextremistischer“ Bekennerschreiben ?!

Die an der Universität Heidelberg im Bereich der Forensischen Linguistik promovierende Autorin, Ulrike Lohner, publizierte schon vor zwei Jahren erste Einblicke in ihr Dissertationsprojekt.

Ziele des Dissertationsprojekts

Ulrike Lohner schrieb in ihrem Beitrag „Stilanalyse rechtsextremer Drohbriefe und linksextremistischer Bekennerschreiben“ (https://doi.org/10.14618/sr-1-2021-loh) im Sprachreport des Leibnitz-Instituts für Deutsche Sprache, sie beabsichtige den Versuch einer Typisierung verschiedener Stilausprägungen von rechtsextremen Droh- und linksextremer Bekennerschreiben zu unternehmen. Hierzu habe ihr das Bundeskriminalamt zwei Korpora Tatschreiben zugänglich gemacht, es handele sich dabei um 115 Droh- und Schmähbriefe rechtsextremen Inhalts und 105 Selbstbezichtigungsschreiben und Positionspapiere „linksextremen“ Inhalts.

Schlussendlich soll es darum gehen, „autorenspezifische Gemeinsamkeiten oder Unterschiede“ festzustellen, um letztlich auch einzelne konkrete Autor/innen zu identifizieren.

Ausblick

Die forensische Linguistik sollte meines Erachtens immer auch im Blick behalten werden bei der Publikation von Erklärungen, denn die Methoden und Techniken anhand „typischer, sprachinterner Merkmalskombinationen“ Rückschlüsse auf konkrete Autor/innen zu ziehen, werden zusehends feiner. Hier kann der genannte Artikel einen ersten Ein- und Überblick ermöglichen.

Disclaimer

Ich bitte um Nachsicht, wenn manche/r den genannten Artikel vielleicht schon kennen sollte, aber mich erreichen in Haft solche Informationen verzögert.

Thomas Meyer- Falk, z. Zt. JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
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Solidarität mit Radio Dreyecksland (RDL) auch aus dem Knast

Der Angriff auf die Pressefreiheit am 17.Januar  auf RDL ist in aller Schärfe zurückzuweisen!

Auch hier aus dem Gefängnis solidarische Grüße an die verfolgten Betroffenen sowie an RDL.

Ich bin selbst Redakteur bei RDL und es notwendig, dass diesem offensichtlichen Versuch der Einschränkung der Pressefreiheit  in aller Schärfe bundesweit und spektrenübergreifend  entgegengetreten wird.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV),

Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg

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Rechte Gewalt in den 90ern – ein Lesetipp!

Immer wieder erscheinen in der Publikationsreihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“ der Bundeszentrale für politische Bildung lesenswerte Ausgaben.
So vor wenigen Tagen zu dem im Titel genannten Phänomenbereich.

In sechs Beiträgen beleuchten die Autor:innen Geschichte, Entwicklung und versuchen sich mitunter auch an einer Typologie rechter Gewalt in der BRD in den 90ern.
Virchow spannt dabei den geschichtlichen Bogen noch weiter und beleuchtet punktuell auch die Zeit nach 1945.

Eingeleitet wird die Ausgabe von einem Essay Christian Bangels, einem Journalisten von Zeit-Online, der über den Hashtag Baseballschlägerjahre schreibt, dabei auch seine eigene Geschichte als Teenager in Frankfurt a.d.Oder und Konfrontationen mit (Neo)Nazis thematisierend.

Perinelli, ein Referent an der Akademie für politische Bildung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, stellt die migrantische Perspektive in den Mittelpunkt seines Aufsatzes.
Franka Maubach (Uni Wuppertal) erinnert an Mölln, an Solingen und die Geschichte des Rassismus in der Bundesrepublik.

Im vorletzten Beitrag der Ausgabe analysiert Raj Kollmorgen (Professor an der Hochschule Zittau/Görlitz) die Kultur- und Gesellschaftsgeschichte des Rechtspopulismus in Ostdeutschland.
Mit einem Blick auf die Debatte um Jugendarbeit und rechte Gewalt seit den 1990er Jahren schließt die Doktorandin Lucia Bruns.

Die Ausgabe ist online kostenlos zugänglich und kann auch in Papierform dort kostenlos nachbestellt werden.

https://www.bpb.de/apuz
Titel: „Aus Politik und Zeitgeschichte: Rechte Gewalt in den 1990er Jahren“
Ausgabe Nr. 49-50/2022 vom 05.12.2022

Rezensent:
Thomas Meyer-Falk
Z.Zt. JVA Freiburg
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Am Anfang war das Wort! Kommentar zum Antifa-Ost-Verfahren aus Sicht eines Beobachtenden…

Es gibt das tief verwurzelte Verlangen wohl eines jeden Menschen nach Befreiung.

Befreiung von dem, was uns einengt, uns hindert, uns selbst, zumal in sozialen Zusammenhängen, zu verwirklichen.

Antifaschismus definiert sich, schon begrifflich, durch die Befreiung vom und den Kampf gegen den Faschismus, einer immer währenden Aufgabe, ja Verpflichtung.  Darüber hinaus meint Antifaschismus aber mehr. Es ist eine innere Haltung zu Mitmenschen, zur Welt, getragen von einem Freiheitsverständnis, welches nicht nur die „Freiheit von Faschismus“ meint, die sogenannte „negative Freiheit“ im Sinne von „Freiheit von etwas“, sondern zugleich eine Idee „positiver Freiheit“ mit sich führt, nämlich die „Freiheit zu etwas“.

Das Antifa-Ost-Verfahren wirft nun ein grelles Licht auf staatliche Strukturen wie auf rechtsextreme Kreise, welche gleichermaßen davon beseelt zu sein scheinen, andere Menschen einzuengen und am Gebrauch der Freiheit zu hindern.  Geprägt von restaurativen, antiemanzipatorischen, xenophobischen Grundhaltungen, welche mit einem positiven Begriff von Freiheit wenig bis nichts anzufangen wissen.

Mangels Zugang zum Internet (hier in Haft) kann ich den vor dem OLG Dresden laufenden, unter „Antifa-Ost-Verfahren“ firmierenden Strafprozess nur sehr, sehr indirekt verfolgen, insbesondere die diverse Berichterstattung. Ich möchte mich zudem beschränken auf die in der Berichterstattung, zumindest so wie sie mir bislang vorliegt, dokumentierte scheinbare Schweigsamkeit, insbesondere zu den Auftritten des sogenannten Kronzeugen.

 Das Recht zu schweigen ist im Strafprozess essentiell, zumal nach geltender Rechtslage eine auch nur teilweise Einlassung Gerichte dazu berechtigt, hieraus ggf. ungünstige Schlussfolgerungen zu ziehen.  Würden Angeklagte durchgängig schweigen, so zumindest die Theorie, dürfte dieses Schweigen nicht nachteilig berücksichtigt werden.

Die wohl recht umfassenden Aussagen des sogenannten Kronzeugen sind in der Welt.  Linke Aktivist:innen haben sich dazu verhalten, die Aussagen kritisiert (nicht nur diese, sondern auch das Verhalten des Kronzeugen). Dass es eine politische Einordnung von Seiten der Angeklagten gegeben hätte, dies wurde zumindest medial nicht vermittelt. Dafür wird es prozesstaktische Gründe geben, nur ist zu fragen, ob damit nicht nur letztlich dem Kronzeugen das Feld überlassen wird? Er (erneut) in eine dominante Position gelangt, in der er zudem die Rezeption der Geschichte maßgeblich mitbestimmen kann.

 Zu fragen wäre auch, welches Signal hiervon an künftig von Strafprozessen betroffene Menschen ausgeht.  Ob sie sich ermutigt fühlen, sich offensiv zu verhalten oder es eher über sich ergehen lassen sollen, wenn jemand wie im vorliegenden Fall über Stunden und Tage hinweg seine Sicht verbreiten darf.

 Was bleibt am Ende von den Aussagen des Kronzeugen haften, nicht primär in der (linken) Szene, die dürfte vielfach gut informiert sein, sondern auch beim ( bürgerlichen) Publikum, und wenn wir an die Zukunft denken:  bei Menschen, die künftig, vielleicht in 10, 15, 20 und mehr Jahren auf das Verfahren vor dem OLG Dresden mit zeitlichem Abstand zurück schauen.  Wäre es angemessen, wenn die Wahrnehmung durch die Aussagen eines Kronzeugen wesentlich dominiert würden?

Im Anfang ist das Wort – und das erfordert mitunter auch Widerworte!

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV),

Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg

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Solidarische Grüße aus dem Freiburger Gefängnis!

  • Grußwort zur Demo am 08.09. in Leipzig zur Prozesseröffnung –

Aus Gefängnissicht finde ich die Drohung mit monatelanger Einknastung besonders wichtig. Menschen werden aus ihrem vertrauten Umfeld von jetzt auf gleich herausgerissen, verobjektiviert, in den Knast gesteckt und defacto erstmal von der Außenwelt abgeschnitten. Denn bis Briefe die Zensurschranken passieren, vergehen Wochen. Wer von euch schreibt noch Briefe? Von Hand vielleicht? Für Menschen in den Knästen ist es die zentrale Kommunikationsform mit jenen außerhalb der Mauern.

Knast engt den Menschen ein. Hindert die Menschen an der Verwirklichung ihrer selbst auf zentrale Weise. Versperrt ihnen den Weg zur Freiheit.

Deshalb ist die Demo heute so wichtig. Als Signal an Lina, Lennart, Jannis und Jonathan. Dass sie nicht alleine im Feuer stehen.

Als Zeichen an alle Menschen, die heute hier versammelt sind oder andernorts sich kämpfend einbringen. Den Weg zur Freiheit dürfen wir uns niemals versperren lassen. Niemals!

Nicht zuletzt ist die Demonstration deshalb auch ein Zeichen an die Repressionsorgane und ihre Vertreter*innen in der Politik.

Durch ihre Drohungen werden wir uns nicht einschüchtern lassen!

Freiheit für Lina!

Für eine sofortige Beendigung der Vefolgung!

Weg mit §129 und §129a und §129b!

Herzschlagende Grüße aus Südbaden

Thomas Meyer-Falk