Archiv der Kategorie: Texte aus der SV

Haftanstalt befürwortet Vollzugslockerungen für Thomas Meyer-Falk

Wie vor wenigen Wochen berichtet, verlief die gerichtliche Anhörung am 15.02.2023 zur Frage meiner Haftentlassung aus der Sicherungsverwahrung nicht so glatt wie von manchen erhofft. Das Landgericht Freiburg beabsichtigt die Beauftragung eines neuen Gutachtens, da jenes der Münchner Sachverständigen das Gericht nicht überzeugte.

Bis zur Vorlage des neuen Gutachtens werden Monate ins Land gehen, weshalb die Haftanstalt in Freiburg am 06.März 2023 darüber beraten hat, ob nicht zumindest Vollzugslockerungen gewährt werden könnten. Seit zehn Jahren erhalte ich lediglich von Gefängnisbeamten bewachte Ausführungen und davon auch nur vier pro Jahr! Im Rahmen einer Vollzugsplankonferenz (VPK) wurde mir nun vom Leiter der SV-Abteilung, Herrn G.mitgeteilt, man werde seitens der Anstalt beim Justizministerium Baden-Württemberg sogenannte „Begleitausgänge“ beantragen, so dass ich gemeinsam mit der Sozialarbeiterin oder der Stationspsychologin zwei Mal im Monat die Anstalt für ein paar Stunden verlassen dürfte, ohne dass Wachpersonal dabei wäre.

Die Vollzugsplankonferenz

Das Gespräch im Rahmen der VPK, an der neben Herrn G. auch die Anstaltspsychologin Frau W. und die Sozialarbeiterin Frau S. sowie Herr C., als Vertreter des uniformierten Dienstes teilnahmen, wurde darüber gesprochen, dass eine Freilassung im Sommer nicht gänzlich unwahrscheinlich sei. Zugleich äußerten Herr G. und Frau W. Kritik an meinen Beiträgen u.a. auf meinen Internetblog, wo ich sehr deutlich Kritik am Vollzugssystem äußern würde, wohingegen ich doch zu differenzierterer Betrachtung durchaus in der Lage sei. So hätte ich am 15.02.2023 vor Gericht, auf die Frage des Vorsitzenden, wie ich den Kontakt zur Psychologin Frau W. empfände, neben kritischen Gedanken auch positive Aspekte darstellen können. Man wünsche sich, dass dies auch in der „Außendarstellung“ im Internet erfolge. Worauf ich erwiderte, dass zum einen die konkrete einzelne (beruflich bedingte) Beziehung zwischen Insassen und Personal in der Tat differenziert zu betrachten sei, zum anderen ich aber nicht der Pressesprecher der Anstalt sei und in einer generellen Vollzugskritik bestimmte Aspekte eben keinen Eingang in die Darstellung fänden.

Der Leiter der SV-Abteilung, Herr G. merkte noch an, dass nach Ansicht der Anstalt ich keines „betreuten Wohnens“ bedürfe und zudem in einer wesentlich günstigeren Lage sei als andere Insassen, denen nämlich jegliches soziale Netz in Freiheit fehle. Letztlich hänge der weitere Verlauf aber an dem neuen Gutachten, welches das Landgericht Mitte März beauftragen wird.

Ausblick

Bis das Justizministerium über den Antrag der JVA auf Begleitausgänge entscheiden wird, soll ich zumindest monatlich eine Ausführung erhalten, die erste sei schon im April denkbar, so Herr G.

Es werden weitere spannende Wochen und Monate. Eine in Freiburg angefragte Sachverständige erklärte sich prinzipiell bereit einen gerichtlichen Auftrag zu übernehmen und deutete an, noch vor dem 07.07.2023 (der sogenannte „10-Jahreszeitpunkt“ der SV) ein Gutachten vorlegen zu können.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),

Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg

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In eigener Sache: Gericht erwägt zweites Gutachten wegen Prüfung der Haftentlassung!

Seit Oktober 1996 sitze ich in Haft und seit Sommer 2013 nunmehr in Sicherungsverwahrung. Mitte Februar 2023 stand die Prüfung der Frage an, ob ich spätestens im Juli dieses Jahres entlassen werde. Dem Landgericht genügte die ausführliche Expertise einer renommierten Münchner Gutachterin und Psychiaterin nicht, so dass erwogen wird ein weiteres Gutachten in Auftrag zu geben.

Anordnung einer mündlichen Anhörung vor dem Landgericht Freiburg

Am 15.02,2023 fand eine nicht-öffentliche Anhörung der 12.Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Freiburg, unter Vorsitz des Richters Kronthaler statt. Für Punkt 12 Uhr waren geladen: mein Rechtsanwalt aus Düsseldorf, Vertreter*innen der JVA, für diese erschienen der Leiter der SV-Abteilung, Herr G. und die Stationspsychologin Frau W. Aus München per Video zugeschaltet war die Psychiaterin und Gutachterin. Zudem war auch ich selbst im Gerichtssaal.

Nachdem die Münchner Psychiaterin, die seit immerhin 41 Jahren solche Gutachten erstellt, vor einigen Monaten in einem 130-Seiten umfassenden Gutachten zu dem Schluss kam, von mir seien keine rechtlich erheblichen Taten zu erwarten, schon gar nicht bestünde die hohe Gefahr der Begehung schwerster Gewalttaten, stellte sich nun die Frage ob ich freigelassen werden würde. Die Gutachterin war im Vorfeld von Haftanstalt und Staatsanwaltschaft schriftlich hart angegangen worden. Das umfangreiche Gutachten sei widersprüchlich, weise zahlreiche Leerstellen auf und es wäre damit letztlich ungeeignet, hierauf eine Freilassung zu stützen. Die Staatsanwaltschaft stellte sogar in den Raum, die Gutachterin habe einseitig zu meinen Gunsten gegutachtet. In einem 17-seitigen Schriftsatz setzte sich im Dezember 2022 die Psychiaterin ausführlich mit den Einwänden der Justiz auseinander und riet in Richtung der Haftanstalt, diese müsse auch mal lernen (mich) „loszulassen“. Nun kam es in der mündlichen Anhörung zu einem Aufeinandertreffen der Vertreter*innen der Haftanstalt und der Münchner Gutachterin.

Verlauf der mündlichen Anhörung

Das Landgericht in Gestalt des Vorsitzenden und seine beiden Beisitzenden nahmen sich rund zwei Stunden Zeit. Die erste Stunde war die Sachverständige aus München per Internet zugeschaltet und sie wurde ausführlich vom Vorsitzenden, der selbst mit hörbar bayrischem Akzent sprach, befragt. Schlussendlich meinte der Vorsitzende jedoch, das Gutachten sei zu widersprüchlich, die Gutachterin zudem „umstritten“, zudem mokierte er sich darüber, dass die Gutachterin 17.000 Euro in Rechnung gestellt hatte. Er und die Kammer würden zudem dazu tendieren, ein weiteres Gutachten zu beauftragen. Ich selbst wurde sodann rund 30 Minuten befragt und stellte dar wie ich mir mein Leben in Freiheit vorstelle. Und so gingen die Argumente hin und her, auch mein Verteidiger warf seine Argumente in den Ring.

Ergebnis der Anhörung

Da Gericht, Staatsanwaltschaft und auch die Haftanstalt (wenig überraschend) nicht mit dem für mich sehr günstigen Gutachtenergebnis, bzw. dessen Herleitung und Begründung übereinstimmten, wird wohl ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben werden. Dieses soll sich, so es tatsächlich dazu kommt, dann speziell zu der Frage äußern, ob im Falle einer Entlassung am 07.07.2023 (zum 10-Jahreszeitpunkt:für diesen Zeitpunkt sieht das Strafrecht eine ganz besonders sorgfältige Prüfung vor) mit hoher Gefahr weitere schwerste Gewalttaten zu erwarten seien. Dies hatte die Münchner Gutachterin eindeutig verneint, aber nicht auf eine Weise, dass das Gericht damit zufrieden war.

Ausblick

Das hier beschriebene Prozedere ist nicht untypisch für den Bereich der Sicherungsverwahrung, bzw. den Straf- und Maßregelvollzug insgesamt. Während eindeutig „negative“ Gutachten, die also eine hohen Gefahr weiterer Straffälligkeit behaupten, in seltensten Fällen von Gerichten, Haftanstalten oder Staatsanwaltschaften in Frage gestellt werden, widerfährt bei für Insass*innen günstigen Gutachten oftmals das Gegenteil. Mit großem justiziellen Engagement wird nach (vermeintlichen) Lücken gesucht, um das günstige Ergebnis aushebeln zu können.

In meinem Fall stehen mir nun weitere Monate des Wartens bevor, in welchen zudem von Seiten der Haftanstalt kaum mit vollzugsöffnenden Maßnahmen zu rechnen ist, denn für diese ist die Entlassfrage offen. Ein/e Sachverständig/e wird mich in den nächsten Wochen oder Monaten in der JVA aufsuchen, wenn das Gericht den Auftrag erteilen sollte, anschließend das schriftliche Gutachten erarbeiten und dem Gericht vorlegen. Erst dann wird es eine weitere mündliche Anhörung geben. Je nach Ausgang dieser Anhörung steht dann der Staatsanwaltschaft, aber auch mir, die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde zum Oberlandesgericht offen, was weitere Wochen des Wartens bedeuten wird.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV),

Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg

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Vortrag zur Sicherungsverwahrung in Freiburg

Am 10.02.2023 fand in Freiburg im „Haus der Jugend“ eine Veranstaltung von Rote Hilfe e.V. und AKJ zum Thema Sicherungsverwahrung statt. Die Referentin, Professorin Dr. Graebsch aus Dortmund referierte ungefähr eine halbe Stunde, daran schlossen sich ein Gespräch mit der Moderatorin und eine Fragerunde an. Radio Dreyeckland aus Freiburg zeichnete die Veranstaltung auf, sodass diese unter www.rdl.de/beitrag/wegsperren-und-zwar-f-r-immer nachgehört werden kann.

Wer nicht nur an einer fachlich fundierten Analyse und Kritik der Sicherungsverwahrung interessiert ist, sondern auch an einem Ausblick was die „Pre-Crime“-Entwicklung (bis hinein in das Aufenthaltsrecht für Migrant*innen) angeht, erhält hier einen aktuellen Einblick. Da die Referentin zugleich auch Rechtsanwältin ist und bundesweit Betroffene vertritt, ergibt sich auch eine praxisnahe Darstellung.

Aus Sicht der Betroffenen bleibt nur noch an dieser Stelle der Referentin, ebenso der Moderatorin wie den Veranstalter*innen zu danken für diese engagierte Veranstaltung, die gezeigt hat, dass die Klagen und Beschwerden aus den Reihen der Inhaftierten einen realen Hintergrund haben und kein Ausdruck einer überzogenen Empfindlichkeit sind.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),

Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg

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neuer Radiobeitrag bei RDL

hier der aktuelle RDL Beitrag von Thomas

https://rdl.de/beitrag/wie-k-nnen-wir-kontakt-kommen-und-ihn-halten

Anti-Knastdemo Ende 2022 – aus Gefangenensicht!

Am 31.12.2022 fand, wie nun seit vielen Jahren, eine Anti-Knastdemo vor den Mauern des Freiburger Gefängnisses in Südbaden statt. Im Gegensatz zu früheren Jahren muss der Polizeieinsatz dieses Mal wohl massiv gewesen sein und folgt man der Liveberichterstattung versuchte die Polizei offenbar das Abfeuern von Feuerwerk aus der Demo heraus zu unterbinden.

Wir hier in der Haftanstalt die baulich keine Sicht auf die Strasse vor das Gefängnis haben konnten an Silvester 2022 wieder über Radio Dreyeckland (https://www.rdl.de) live mit dabei sein, denn neben dem Livestream übertrug RDL auch auf seiner UKW-Frequenz.

So konnten wir hören wie sich die Demo kämpferisch und lautstark gegen die offenbar massive Polizeipräsenz und auch die Blockade der Demo durch behelmte Polizist*innen verteidigte. In Redebeiträgen wurde auf die revolutionäre Situation im Iran ebenso verwiesen, wie auf die desolate Lage in der bundesdeutschen Abschiebehaft.

Und auch die politische musikalische Live-Performance kam richtig gut an. Hier in der Abteilung Sicherungsverwahrung standen einige von uns an den Fenstern, manche saßen im Hof, andere in ihren Zellen und hörten so der Demonstration zu.

Ein besonderer Dank gilt den Redakteur*innen von RDL welche die Live-Übertragung ermöglicht haben! Und ganz besonders an all die Aktivist*innen die vor den Knastmauern waren und sich auch von der Polizeipräsenz nicht haben beeindrucken lassen!

Für gefangene Menschen sind Proteste wie die an Silvester 2022 Mut machend, denn sie spannen ein Netz der Solidarität zwischen den Welten und deren Menschen: vor und hinter den Mauern, und wie die Redebeiträge deutlich machten, auch über Regionen und die menschengemachte Grenzen hinweg!

Das Feuerwerk während der Demo und bis nach Mitternacht von vielen Zellenfenstern aus beobachtet, fügt sich hier gut ein, denn es symbolisiert mit jedem einzelnen Funken am Nachthimmel die Vergänglichkeit. Ob nun des eigenen Lebens, von Herrschaft jeder Art und im Kontext Gefängnis, symbolisiert es die Unbeständigkeit von Knastsystemen! Zugleich bietet es auch die Möglichkeit den Moment zu genießen. Die Farbenpracht, die Energie, die Ästhetik der ganz verschiedenen farbenreichen Effekte.

Darum geht es doch am Ende auch immer: trotz allem das Leben zu genießen! Es auszufüllen, trotz alledem! 2022, 2023 und für alle Zukunft!

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV),

Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg

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Rechte Gewalt in den 90ern – ein Lesetipp!

Immer wieder erscheinen in der Publikationsreihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“ der Bundeszentrale für politische Bildung lesenswerte Ausgaben.
So vor wenigen Tagen zu dem im Titel genannten Phänomenbereich.

In sechs Beiträgen beleuchten die Autor:innen Geschichte, Entwicklung und versuchen sich mitunter auch an einer Typologie rechter Gewalt in der BRD in den 90ern.
Virchow spannt dabei den geschichtlichen Bogen noch weiter und beleuchtet punktuell auch die Zeit nach 1945.

Eingeleitet wird die Ausgabe von einem Essay Christian Bangels, einem Journalisten von Zeit-Online, der über den Hashtag Baseballschlägerjahre schreibt, dabei auch seine eigene Geschichte als Teenager in Frankfurt a.d.Oder und Konfrontationen mit (Neo)Nazis thematisierend.

Perinelli, ein Referent an der Akademie für politische Bildung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, stellt die migrantische Perspektive in den Mittelpunkt seines Aufsatzes.
Franka Maubach (Uni Wuppertal) erinnert an Mölln, an Solingen und die Geschichte des Rassismus in der Bundesrepublik.

Im vorletzten Beitrag der Ausgabe analysiert Raj Kollmorgen (Professor an der Hochschule Zittau/Görlitz) die Kultur- und Gesellschaftsgeschichte des Rechtspopulismus in Ostdeutschland.
Mit einem Blick auf die Debatte um Jugendarbeit und rechte Gewalt seit den 1990er Jahren schließt die Doktorandin Lucia Bruns.

Die Ausgabe ist online kostenlos zugänglich und kann auch in Papierform dort kostenlos nachbestellt werden.

https://www.bpb.de/apuz
Titel: „Aus Politik und Zeitgeschichte: Rechte Gewalt in den 1990er Jahren“
Ausgabe Nr. 49-50/2022 vom 05.12.2022

Rezensent:
Thomas Meyer-Falk
Z.Zt. JVA Freiburg
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Radiobeitrag zur anstehenden Haftprüfung

hier der Beitrag der Redaktion „Ausbruch – die Antirepressionswelle“ von Radio Dreyeckland

https://rdl.de/beitrag/long-road-der-kampf-um-die-freiheit

A long road …. der Kampf um die Freiheit!

Wie vor einigen Wochen in eigener Sache berichtet, kam eine Psychiaterin zu dem Ergebnis, dass von mir keine schwersten Gewalttaten zu erwarten seien. Hieran scheinen nun Haftanstalt und Gericht zu zweifeln.

Die Vorgeschichte

Seit Oktober 1996 sitze ich in Haft, seit 2013 in der Sicherungsverwahrung. Eine sogenannte Maßregel der Sicherung und Besserung, eingeführt mit Gesetz vom 24. November 1933. Seitdem können Menschen in Deutschland auch nach Haftverbüßung festgehalten werden, selbst bis sie tot sind. Jährlich prüft eine mit drei richterlichen Personen besetzte Kammer, ob die Fortdauer der SV notwendig ist. Nach 10 Jahren ist eine besonders ausführliche Prüfung notwendig. Da ich vor einer Gesetzesreform der CDU/FDP-Koalition von Anfang 1998 verurteilt wurde – seinerzeit wurde die Obergrenze von maximal 10 Jahren Dauer der SV gekappt und auf (potentiell) „lebenslänglich“ verlängert – gilt ein eingeschränkter Vertrauensschutz in die alte Regelung, jene mit der maximalen Obergrenze.

Bei diesen sogenannten „Altfällen“ darf die Verwahrung über 10 Jahre hinaus nur fortdauern, wenn schwerste Gewalttaten mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen und zugleich eine psychische Störung vorliegt (vgl. für jene, die die rechtlichen Aspekte nachlesen möchten, Artikel 316 Buchstabe f im EG StGB, das ist das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, in welchem solche Sonderbestimmungen aufgeführt sind).

Das Gutachten

Die Psychiaterin Frau Dr. Schmitt (Name geändert) kam zu dem Ergebnis, dass von mir nicht nur keine schwersten Gewalttaten zu erwarten seien, sondern es seien gar keine rechtlich erheblichen Straftaten zu erwarten. Dies begründete sie auf über 120 Seiten.

Nachdem das Gutachten der Haftanstalt und dem Gericht zugegangen war, eröffnete mir die für mich zuständige Stationspsychologin Frau W. die wesentlichen Ergebnisse und deutete dabei aber auch schon an, dass man seitens der Anstalt vermutlich einige Fragen an die Gutachterin haben werde. Denn noch 2019 kam ein anderer Gutachter, Professor Dr. Bandelow, lediglich zu dem Ergebnis, es sei nicht hinreichend sicher auszuschließen, dass ich wieder straffällig würde (das sind juristische Feinheiten, die rechtlich erhebliche Auswirkungen haben).

Meine erste Reaktion

Nachdem mir Frau W. die wesentlichen Ergebnisse mitteilte, war mir klar, dass nun eine angeregte Zeit folgen würde, denn die baden-württembergische Justiz hat meine Anfangszeit nicht vergessen. Ich saß von 1996 bis 2007 in Einzelhaft/Isohaft und wurde wegen Beleidigung/Bedrohung von PolitikerInnen und RichterInnen zu insgesamt 5 Jahren 3 Monaten Haft verurteilt. All das ist über 20 Jahre her, aber so etwas wird nicht vergessen.

Ich stellte also Anträge bei Gericht auf sofortige Entlassung, denn sollten von mir keine rechtlich erheblichen Taten zu erwarten sein, würde die Rechtsgrundlage für die weitere Verwahrung entfallen (vgl. § 67 Buchstabe d StGB). Zugleich beantragte ich bei der Haftanstalt die Gewährung von Hafturlaub, unbewachten Ausgängen und ähnliche Lockerungen, denn die Gutachterin hatte Lockerungen vorgeschlagen, eine Fluchtgefahr ausgeschlossen und zudem für eine alsbaldige Freilassung auf Bewährung plädiert.

Die Reaktion von Gericht und Haftanstalt

Seitens der vorsitzenden Richterin der 12. Strafvollstreckungskammer wurde mir mitgeteilt, dass man nun erst mal Stellungnahmen von den Verfahrensbeteiligten abwarten müsse. Vorher passiere gar nichts. Der Leiter der Abteilung Sicherungsverwahrung, Dipl. Sozialpädagoge Herr G. ließ mich in einem persönlichen Gespräch wissen, seitens der Anstalt und des Gerichts gäbe es viele, viele Fragen an die Sachverständige Frau Dr. Schmitt (Name geändert).

Wesentliche Punkte seien nämlich nicht konsistent, nicht frei von Widersprüchen, oder es fänden sich für zentrale Schlussfolgerungen keine oder nicht ausreichend Belege, zudem gebe es Diskrepanzen zu dem oben erwähnten Vorgutachten von Professor Dr. Bandelow.

Zudem sei es auch nicht von Vorteil, dass ich in den letzten neun Jahren kein einziges Mal zu den jährlich stattfindenden Anhörungen erschienen sei, erst jetzt, im 10. Jahr zu dem Termin zu gehen, das sei ein wenig spät, da ich so verhindert hätte, dass das Gericht mich „vorab“ schon mal hätte persönlich kennen lernen können.

Nun werde man seitens der Anstalt binnen weniger Tage erst mal umfänglich zu dem Gutachten und all den Kritikpunkten Stellung nehmen. Dann müsse man abwarten, wie die Gutachterin sich hierzu verhalte.

Ausblick

Es wird nun in den kommenden Wochen und Monaten ein Austausch von Stellungnahmen zwischen Haftanstalt, Gutachterin und Verteidigung folgen. Wie das Ergebnis dann lauten wird, ist offen. Vor wenigen Tagen hat die Dortmunder Professorin Graebsch in einem sehr lesenswerten Artikel im „Neuen Deutschland“ (https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168354.sicherungsverwahrung-tiefer-eingriff-in-die-seele.html) dargestellt, vor welchen Schwierigkeiten Sicherungsverwahrte im Allgemeinen stehen und im Besonderen, wenn sie entlassen werden wollen. Insofern ist meine eigene Situation, wie ich sie oben beschrieben habe, nicht ungewöhnliches. Die allermeisten Sicherungsverwahrten in Deutschland stehen vor ähnlichen Hindernissen, sobald es in Richtung „Freiheit“ geht.


Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA (SV)
Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

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Neues Deutschland (ND) berichtet umfassend zu Sicherungsverwahrung (SV)

Vor wenigen Tagen hat das ND in 2 größeren Beiträgen kritisch zu aktuellen Lage der SV berichtet.
Zum einen schrieb die Dortmunder Professorin Christine Graebsch aus rechtlicher und psychologischer Sicht übr das Thema. (https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168354.sicherungsverwahrung-tiefer-eingriff-in-die-seele.html)

Zum anderen war das ND so freundlich, mir Platz nach rund 9 Jahren eigenen Lebens in der SV für einen Erfahrungsbericht einzuräumen. (https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168355.sicherungsverwahrung-im-totenhaus.html)

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA-SV-Abtlg., Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
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Im Totenhaus
Die Liebe zum Leben kann in Sicherungsverwahrung nicht entstehen. Diese Schlussfolgerung zieht unser Autor in seinem Erlebnisbericht über ein Jahrzehnt in der JVA Freiburg

THOMAS MEYER-FALK

Shorty ist Mitte 40, er sitzt seit vielen Jahren in Sicherungsverwahrung. Wer ihn kennenlernt, denkt sich erst mal, der ist doch kaum älter als 20. Er bringt jedoch eine typische Vollzugsbiografie mit: Als Kind Heimaufenthalte, inklusive erlebter Misshandlungen, früher Eintritt in den Jugendstrafvollzug, danach, nachdem er unter Drogeneinfluss Einbrüche begangen und ältere Frauen vergewaltigt hatte, langjähriger Strafvollzug. Nach Absit­zen der regu­lä­ren Stra­fe kam die Unter­brin­gung in der Siche­rungs­ver­wah­rung. Handwerklich sehr begabt, aber durch langjährigen Drogenkonsum, ADHS, dem sogenannten Zappelphilip-Syndrom und einer nie wirklich gelungenen Sozialisierung, im Haftalltag ziemlich auffällig. Er bringt mit seinen Ideen viele zum Lachen – und das Personal zum Verzweifeln. Da sind die Namensschilder an den Büros, die er auswechselt, so wird aus dem »Stationsleiter«, der »Stationseiter«, der Müllraum ist plötzlich mit dem Schild des vorgesetzten Bereichsleiters versehen. Mal hat er eine Fledermaus, ein anderes Mal einen Raben in seiner Zelle. Letzterer flog dann quer über den engen Stationsflur und verkackte alles – endlich mal pulsierendes Leben im von manchen Insassen nur noch sarkastisch »Totenhaus« genannten Bereich der Sicherungsverwahrung. Denn sie sterben hier. Liegen die Nacht über tot in ihren Zellen, wo sie erst morgens aufgefunden werden. Sie fallen tot im Gefängnishof um. Sie schlafen friedlich im Freizeitraum ein, wo sie Stunden später von Mitinsassen gefunden werden.

Mir begegnen zudem Menschen mit Schlaganfällen. Ebenso jene, die nur noch mittels Rollator unterwegs sein können, und wir hatten auch schon Männer in Rollstühlen auf den Stationen. In Erinnerung ist mir auch M., er war einige Jahre mein direkter Zellennachbar. Nach einer Operation in der Leistengegend musste er zur Wundheilung ins Gefängniskrankenhaus Hohenasperg, dort geriet die Wundheilung außer Kontrolle und ihm wurde das ganze Bein amputiert. Als er nach Monaten soweit wiederhergestellt war, dass man ihn vom Gefängnishospital zurück in die Strafanstalt verlegen konnte, kam er wieder in die Justizvollzugsanstalt Freiburg. Hier hatte man extra Personal für ihn eingestellt, welches ihn nachts, wenn eigentlich alle Insassen in ihren Zellen weggeschlossen sind und deshalb viel weniger Personal in den Anstalten präsent ist, im Bett drehen sollte, damit er sich nicht wundliege. Er überlebte den Transport jedoch um nur wenige Stunden: Kaum in der Justizvollzugsanstalt angekommen, starb er am Folgetag. Wir sehen: Auch der bettlägerige Einbeinige scheint noch eine hohe Gefahr für die Gesellschaft darzustellen.

Zu einem ernüchternden Ergebnis kam erst im Mai das Landgericht Freiburg. Es musste über die Schuld zweier Mittdreißiger befinden, beide in Sicherungsverwahrung, angeklagt, andere Insassen verprügelt und in einem Fall sogar geplant zu haben, einen von ihnen zu ermorden. Als »Rattengift-Prozess« machte das Verfahren regional Schlagzeilen, denn die Angeklagten sollten das Gift aus den im Gefängnishof stehenden Fallen entnommen haben. Von dem Mordvorwurf wurden sie freigesprochen, denn in der Verhandlung kam der Verdacht auf, das angebliche Opfer habe die Sache inszeniert, vielleicht um sich an den beiden zu rächen. Jedenfalls zeichnete die Vorsitzende Richterin in ihrer mündlichen Urteilsbegründung ein bedrückendes Bild von den Haftumständen in der Sicherungsverwahrung. Etwaige Ziele, wie das Erlernen sozialen Verhaltens, seien dort wohl kaum erreichbar.

Heute kann die Sicherungsverwahrung im Regelfall nur noch wegen schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten angeordnet und vollstreckt werden. Momentan sitzen etwa 600 Männer und weniger als eine Handvoll Frauen in den Trakten der Sicherungsverwahrungsabteilungen. Diese sind jeweils Strafanstalten angegliedert, beispielsweise in Berlin-Tegel, Bautzen oder Freiburg.
Zurück zu dem Gefangenen mit dem Spitznamen Shorty: In den Jahren der Sicherungsverwahrung nimmt er diverse therapeutische Angebote an, von Bewegungstherapie bis zu einem speziellen Gruppenprogramm für Sexualtäter. Er steht offen zu seinen Taten und bekundet Scham und Reue. Er beteuert immer wieder, jetzt, nach über 20 Jahren hinter Stacheldraht, Gittern und Mauern, sei ihm klar, er werde nie wieder andere Menschen verletzen. Dies genügt jedoch nicht ansatzweise, um freigelassen zu werden, denn die Anstalt und die Gutachter gehen davon aus, dass es keinen tiefgreifenden inneren Wandel in seiner Persönlichkeit gegeben habe, er lediglich verbal beteuere, nun alles einzusehen. Und so wird sein Verhalten zusehends destruktiver, wenn auch zu seinem eigenen Schaden; Fremdaggressionen gab es so gut wie keine. Zuletzt bastelte er eine kleine Armbrust, wohl wissend, dass so etwas in einer Justizvollzugsanstalt für Riesenärger sorgen würde. Es kam dann, wie es kommen musste, das Wachpersonal fand die Armbrust und er landete für viele Monate in strenger Einzelhaft. In der Sicherheitszelle mit Stahltoilette und an den Boden festgeschraubtem Bett fing er später aus Protest an, in die Zelle zu pinkeln, aber auch, durch einen schmalen Spalt in der Zellentüre, hinaus auf den Flur. Die Zellenwände verschmierte er mit Nudeln, Soßen und anderem.

Regressive Verhaltensmuster sind gerade im Bereich der Sicherungsverwahrung immer wieder zu beobachten. Sind Gefängnisse doch per se keine Orte, an denen Menschen mit kaputten Biografien wirklich die Liebe zur Freiheit und die Liebe zu leben lernen, weshalb immer wieder der Ruf zu hören ist, es müssten Alternativen her, Gefängnisse gehörten abgeschafft. Vereinzelt unterstützen sogar ehemalige Gefängnisdirektoren wie Thomas Galli, lange Jahre Gefängnisjurist in Bayern und zuletzt in Sachsen Leiter einer Haftanstalt, solche Forderungen. Auch international wird sich zusehends vernetzt, um Alternativen zum Strafvollzug aufzuzeigen, wie das vor wenigen Jahren veröffentlichte »No Prison Manifesto« von Rechtswissenschaftler*innen, Kriminolog*innen und Theolog*innen zeigt.

Als Shorty und ich noch auf derselben Station wohnten, er am einen Ende des Flurs, ich am anderen, trafen wir uns morgens erst mal zum Kaffee, manchmal auch zum Schachspielen. Oder wir berieten über rechtliche Fragen: Wie könnten wir gegen Maßnahmen der Leitung der Justizvollzugsanstalt möglichst erfolgreich vorgehen? Im Laufe der Jahre gewann er so manches Verfahren.

Als ihm eines Tages der Gefängnisarzt das Ritalin-Medikament radikal absetzte, klagte er sich durch mehrere Instanzen, bis er beim Oberlandesgericht Karlsruhe einen durchschlagenden Erfolg erzielte. Zunächst war Shorty dabei ertappt worden, die Tablette nicht etwa geschluckt, sondern in seiner Hand versteckt zu haben, um sie aus dem Sanitätszimmer zu schmuggeln. Alle seine Erklärungsversuche halfen nichts. Auch nicht der Umstand, dass das ADHS-Medikament den Hunger dämpfe, er nach Einnahme unter Appetitlosigkeit leide, deshalb schon erheblich abgenommen habe und er das Medikament deshalb erst nach dem Essen nehmen wolle. Das von ihm eingeschaltete Landgericht ließ sich noch nicht überzeugen. Es meinte lapidar, medizinische Fragen seien gerichtlich kaum nachprüfbar. Deshalb zog Shorty vor die nächste Instanz. Weil hinter Gittern kaum etwas schnell geht, dauerte es rund ein Jahr vom Entzug des Medikaments, bis sich dann nach dem Urteil des OLG letztlich auch der Anstaltsarzt beugte und Shorty wieder das Medikament verordnete.

Mittlerweile wurde Shorty in ein anderes Bundesland verlegt, so soll ihm ein Neuanfang ermöglicht werden. Noch einmal von vorn beginnen. Nach über 20 Jahren im baden-württembergischem Strafvollzugssystem möchte er in Nordrhein-Westfalen versuchen, seinem Leben eine positive Wendung zu geben.

Schuldig geworden an anderen und ihre von der Gesellschaft durch die Gerichte zugedachte Strafe abgesessen, leben die Sicherungsverwahrten dennoch weiter in den Gefängnissen. Eine Freilassung erfolgt erst dann, wenn meist mehrere psychiatrische Sach­verständige und auch die Gerichte zu der Einschätzung gelangen, weitere schwere Straftaten seien künftig nicht mehr zu erwarten.

In vielen Fällen dauert die Unterbringung jedoch bis zum Tod, weshalb neben Insass*innen auch kritische Kriminolog*innen und Jurist*innen die Sicherungsverwahrung letztlich als eine Art von Todesstrafe bezeichnen. Selbst das Bundesverfassungsgericht sprach in seinem Urteil zur Sicherungsverwahrung 2004 von »hoffnungslos Verwahrten«, die bis zu ihrem Lebensende nicht freigelassen würden. Dabei können sich die Betroffenen auch auf Papst Franziskus berufen, der vor einigen Monaten die lebenslange Freiheitsstrafe als eine »versteckte Todesstrafe« (Enzyklika »Fratelli tutti«, Randnr. 268) bezeichnete. Und was ist – zumindest aus Sicht der Einsitzenden – die Sicherungsverwahrung letztlich anderes?

Thomas Meyer-Falk sitzt seit 2013 in der JVA Freiburg in Sicherungsverwahrung.
Er hat in dieser Zeit etwa 60 Sicherungs­verwahrte kennengelernt.

Grußwort für die internationale Soliwoche für anarchistische Gefangene

Hier das Grußwort für die internationale Soliwoche für anarchistische Gefangene – im 2. link auch in englischer übersetzung

[de]https://solidarity.international/index.php/2022/08/30/brief-von-dem-anarchistischen-langzeitgefangenen-thomas-meyer-falk/

[en]
https://solidarity.international/index.php/2022/08/30/germany-letter-from-anarchist-prisoner-thomas-meyer-falk/