Monatsarchiv: August 2021

Über ein Buch mit Gefangenentexten aus der JVA Dresden

Im Frühjahr 2021 erschien im Verlag NOTschriften ein fast 300 Seiten umfassendes Buch, welches aus einer Vielzahl von Artikeln besteht, welche Inhaftierte, sowie einige der ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter*innen in den Jahren 2001 bis 2020 für die Gefangenenzeitung der JVA Dresen, „Der Riegel“, verfasst hatten.

Als Herausgeber*innen zeichnen verantwortlich Lydia Hartwig, eine ehrenamtlich in der Anstalt tätige Sozialpädagogin, sowie Prof. Ulfrid Kleinert, seit 2000 Vorsitzender des Beirats der JVA Dresden und Redaktionsmitglied von „Der Riegel“.

Nach Sachbereichen geordnet, werden in sieben Kapiteln Einblicke in „Kultur und Kunst“, „Knastalltag“, „Das Personal der JVA“ ebenso gewährt, wie in so prekäre Lebensbereiche, wie den allgegenwärtigen Umgang mit Drogen im Haftalltag, der Menschenwürde, aus Sicht der Inhaftierten, aber auch ganz elementaren, existentiellen Gefühlen, wie dem der Angst! Gerade die Angst der Gefangenen vor anderen Gefangenen wie auch vor sich selbst, ebenso vor dem Personal und vor der Welt vor den Mauern, wie auch die Ängste der Menschen außerhalb des Gefängnisses vor den Gefangenen, so mein Eindruck nach vielen Jahren der eigenen Inhaftierung, verdient entsprechende Beachtung.

Erfreulicherweise wird ebenfalls auf das Leben von ehemaligen Inhaftieren nach der Haft eingegangen. So finden sich Texte im Unterkapitel „Entlassung“, die ganz lebensnah und authentisch davon berichten, wie sich der Weg zurück in die Welt vor den Gefängnismauern gestaltet, wie es ist, dann mit einigen Euro in der Tasche, an einem regnerischen Tag vor den Mauern zu stehen.

Im Kapitel „Fachtagungen“ werden Texte rund um die u.a. von dem Verein Hammer Weg e.V. veranstalteten Tagungen präsentiert. Der Verein ist benannt nach der Strasse an der die Haftanstalt ihren Sitz hat. Wie man in dem Buch erfährt, ist der Hammer Weg seinerseits nach dem Dresdner Dichter Friedrich Julius Hammer benannt, gestorben vor nun bald 160 Jahren. Der Verein bietet Fortbildungsveranstaltungen für ehrenamtliche Betreuer*innen an, welche jeweils unter einem bestimmten Leitgedanken stehen. 2003 ging es um „Freiheit- und was dann?“, sieben Jahre später um die „Konfliktwahrnehmung und –bewältigung im familiären Umfeld bei Inhaftierung und in Freiheit“. Vieles kann nur angedeutet werden, und die Gefangenen sind auch keine professionellen Journalist*innen, sie schreiben aus ihrer Betroffenenperspektive, oftmals auch verallgemeinernd, Stereotypen folgend, aber immer authentisch. Dass im letzten Kapitel auch der poetischen Ader der gefangenen Menschen Platz eingeräumt wird durch den Abdruck von Gedichten, in denen die existenziellen Fragestellungen des Lebens verhandelt werden, ist besonders erfreulich.

Wer einen ziemlich ungeschminkten Einblick in den Haftalltag, die Sorgen, Nöte, aber auch Wünsche und Hoffnungen von Gefangenen im 21. Jahrhundert, hier mitten aus der sächsischen Hauptstadt bekommen möchte, findet in dem Buch viele Antworten. Da schadet es dann letztlich auch nicht, wenn das Buch nicht ohne Vorwort der Justizministerin auskommt, wobei in einzelnen Beiträgen durchaus hin und wieder ein Fehlen von kritischer Distanz zu beklagen ist.

Bibliografische Angaben:

„Ein deutsches Gefängnis im 21. Jahrhundert“

Hrsg. U. Kleinert/L. Hartwig

Verlag: NOTschriften (https://www.notschriften.de)

ISBN: 978-3-948935-14-6

Preis: 12,90 €

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com

Archiv: http://www.freedom-for-thomas.de

Statement für die Internationale Woche der Solidarität mit Anarchistischen Gefangenen 23. – 30. August 2021

-Text in englischer Übersetzung im Anschluss-

Für eine Gesellschaft frei von Herrschaft zu streiten und zu kämpfen kann dazu führen, dass Menschen in die Verliese der jeweiligen Regime geworfen werden. Dort sollen die Körper auf engstem Raum eingesperrt und der widerständige Geist in Ketten gelegt, an die kahlen Betonwände geschmiedet werden.

Wer nicht bereit ist sich zu unterwerfen, dem droht eine lange, eine sehr lange Zeit hinter Gittern. Aber es sind Aktionswochen wie jetzt im August 2021, die ein Band knüpfen zwischen den Menschen vor und jenen hinter den Gefängnismauern. Eine Verbundenheit zwischen Menschen, deren Herz für Befreiung und für Freiheit schlägt.

Eine der Herausforderungen scheint mir zu sein, eine lebendige Solidaritätsbewegung über sehr lange Zeiträume intakt zu halten, denn auch wenn immer mehr Staaten offiziell auf die Todesstrafe verzichten, gehen sie dazu über Menschen auf Jahrzehnte hin wegzuschließen. Was für manche als eine noch viel schlimmere Strafe erscheinen mag, die schier ewig dauernde Wegsperrung. Um den Menschen in den Knästen zu helfen die Hoffnung am pulsieren zu halten, aber auch zugleich jenen Genoss*innen die aktiv vor den Mauern kämpfen die Gewissheit zu geben, sie werden niemals vergessen werden, können Aktionswochen ein essentielles Mittel der Bekräftigung sein!

Ich selbst wurde im Oktober 1996 verhaftet, nach Stuttgart-Stammheim eingeliefert, und saß die ersten 11 Jahre in Isolationshaft (in der Gesetzessprache hieß das „Einzelhaft: unausgesetzte Absonderung von anderen Insassen“). Obwohl die ein-/ausgehenden Briefe von der Knastleitung mitgelesen, vielfach auch kopiert wurden, waren diese Briefe ein Band zu den Menschen draußen. Das hat solch eine Kraft gegeben, in Worten lässt sich dies nicht wirklich beschreiben.

Je öfters heutzutage auf konkrete physische Gewalt in den modernen Kerkern verzichtet werden mag, umso mehr geraten Hoffnungslosigkeit, Verlassenheit, Isoliertheit zu den Waffen des Regimes mit welchem die Genoss*innen zerbrochen werden wollen.

Dem etwas lautstarkes und kämpferisches entgegen zu setzen, auch dafür steht in meinen Augen die „Week of Solidarity“.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV)
Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com

Statement for the International Week of Solidarity with Anarchist Prisoners August 23-30, 2021.

To argue and fight for a society free of domination can lead to people being thrown into the dungeons of the respective regimes. There, the bodies are to be locked up in the tightest of spaces and the resistant spirit put in chains, forged against the bare concrete walls.

Those who are not willing to submit face a long, a very long time behind bars. But it is weeks of action like now in August 2021 that forge a bond between the people in front of and those behind the prison walls. A bond between people whose hearts beat for liberation and for freedom.

One of the challenges seems to me to be keeping a vibrant solidarity movement intact over very long periods of time, because even as more and more states are officially renouncing the death penalty, they are shifting to locking people away for decades at a time. What may seem to some to be an even worse punishment, the sheer eternity of being locked away. In order to help the people in prison to keep hope alive, but also to give those comrades who are actively fighting in front of the walls the certainty that they will never be forgotten, action weeks can be an essential means of affirmation!

I myself was arrested in October 1996, taken to Stuttgart-Stammheim, and spent the first 11 years in solitary confinement (in legal language, this was called „solitary confinement: uninterrupted segregation from other inmates“). Although the incoming/outgoing letters were read by the prison administration, and often copied, these letters were a bond to the people outside. This gave such strength, words cannot really describe it.

The more often concrete physical violence is dispensed with in modern prisons, the more hopelessness, abandonment, isolation become the weapons of the regime with which the comrades want to be broken.

In my eyes, the „Week of Solidarity“ also stands for setting something loud and militant against this.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV)
Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com