Monatsarchiv: Januar 2023

Stilanalye u.a. „linksextremistischer“ Bekennerschreiben ?!

Die an der Universität Heidelberg im Bereich der Forensischen Linguistik promovierende Autorin, Ulrike Lohner, publizierte schon vor zwei Jahren erste Einblicke in ihr Dissertationsprojekt.

Ziele des Dissertationsprojekts

Ulrike Lohner schrieb in ihrem Beitrag „Stilanalyse rechtsextremer Drohbriefe und linksextremistischer Bekennerschreiben“ (https://doi.org/10.14618/sr-1-2021-loh) im Sprachreport des Leibnitz-Instituts für Deutsche Sprache, sie beabsichtige den Versuch einer Typisierung verschiedener Stilausprägungen von rechtsextremen Droh- und linksextremer Bekennerschreiben zu unternehmen. Hierzu habe ihr das Bundeskriminalamt zwei Korpora Tatschreiben zugänglich gemacht, es handele sich dabei um 115 Droh- und Schmähbriefe rechtsextremen Inhalts und 105 Selbstbezichtigungsschreiben und Positionspapiere „linksextremen“ Inhalts.

Schlussendlich soll es darum gehen, „autorenspezifische Gemeinsamkeiten oder Unterschiede“ festzustellen, um letztlich auch einzelne konkrete Autor/innen zu identifizieren.

Ausblick

Die forensische Linguistik sollte meines Erachtens immer auch im Blick behalten werden bei der Publikation von Erklärungen, denn die Methoden und Techniken anhand „typischer, sprachinterner Merkmalskombinationen“ Rückschlüsse auf konkrete Autor/innen zu ziehen, werden zusehends feiner. Hier kann der genannte Artikel einen ersten Ein- und Überblick ermöglichen.

Disclaimer

Ich bitte um Nachsicht, wenn manche/r den genannten Artikel vielleicht schon kennen sollte, aber mich erreichen in Haft solche Informationen verzögert.

Thomas Meyer- Falk, z. Zt. JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com

“Ich vermisse Euch wie Sau” – eine Rezension

Ein Mensch ist gestorben. Im Dezember 2017. Er ist nicht bloß gestorben, er hat sich das Leben genommen. In Moçambique. Ricardo, ein Schwarzer in Dresden geborener Deutscher, war auf der Flucht vor der deutschen Justiz, die ihn in den Knast stecken wollte, als seine Kraft nach Jahren im Exil nicht mehr ausreichte und er sich das Leben nahm.

Vor kurzem erschien im Immergrün-Verlag das rund 220 Seiten starke Ergebnis einer instensiven Aufarbeitungs- und Auseinandersetzungsarbeit von Menschen welche Ricardo kannten, ihm teilweise sehr nahe standen. Einerseits handelt es sich um den Versuch, den Tod von Ricardo, der sich nach rund drei Jahren im Exil umgebracht hatte, zu verarbeiten: sich gemeinsam zu finden, zu stärken, zu trauern, zu weinen, aber auch um gemeinsam zu lachen und zu erinnern.

Zu anderen ist es erklärtes Ziel des HerausgeberInnen-Kollektivs, ihre Erfahrungen, Perspektiven und Erlebnisse zu teilen, um Diskussionen rund um die Bereiche Flucht, Exil und Illegalität anzustoßen.

In ihrem Vorwurf führt das Kollektiv in das anfängliche Gefühlschaos ein, nachdem die Nachricht vom Suizid Ricardos in Deutschland angekommen war. Und wie hieraus dann nach und nach die Idee entstand, sich nicht in die Vereinzelung zurück zu ziehen, wo jede und jeder selbst versucht mit Gefühlen der Leere, von Wut und Verzweiflung zurecht zu kommen, sondern wie man als Kollektiv Flucht, Exil und Tod Ricardos politisch kontextualisieren könnte. Um Diskussionen zu ermöglichen, um sich gegenseititg Halt zu geben und auch um das Andenken an Ricardo lebendig zu halten.

Es sind drei große Kapitel aus welchen das Buch besteht. Unter den Kapitelüberschriften Flucht, Exil und schließlich Illegalität werden wir nicht nur durch das aktivistische Leben eines 1986 in Dresden geborenen Schwarzen in Deutschland zur Wendezeit geführt, wir erfahren auch aus erster Hand wie hochpolitisch die 90’er waren, geprägt von der permanenten Konfrontation mit Neonazis und den staatlichen Repressionsbehörden. Auch wird durch die Schilderung von Ricardos politischem Aktivismus Zeitgeschichte ganz konkret fassbar gemacht und miterlebbar. In der Buchmitte finden sich zudem einige Fotos welche u.a. Ricardo gemacht hatte.

Im Anfangskapitel “Flucht” bekommen die Lesenden auch eine knappe Einführung in die Geschichte und Gegenward Moçambiques, geprägt von Kolonialismus und Unterdrückung, welche bis heute fortwirken.

Auf fast 40 Seiten finden sich e-mails von Ricardo, geschrieben im Exil Moçambiques, bis kurz vor seinem Tod. Sie sprühen an vielen Stellen vor Lebensenergie und Kraft, obwohl er in einem Land lebte in welchem er selbst zu den Illegalen zählte, jederzeit eine Polizeikontrolle und Inhaftierung füchtend, und an anderen Stelllen springt einen zugleich vorhandene Verzweiflung geradezu an.

Beschrieben wird zudem die Reise von einigen Menschen nach Moçambique, als sie erfuhren, dass Ricardo gestorben war und wie sie versuchen vor Ort mehr über den Alltag, das Leben und den Tod Ricardos in Erfahrung zu bringen.

Das Kapitel “Exil” findet sich ein lebenspraktisches Fragegespräch mit einem Anwalt rund um die rechtlichen Fragen von Flucht, Exil, Illegalität, insbesondere auch Antworten gebend welche Möglichkeiten Unterstützende haben, welche rechtlichen Fallstricke es zu beachten gibt. Vor allem geht es jedoch um die ganz praktischen Erfahrungen mit der Solidarität in der Zeit des Exils von Ricardo. Wie gestalteten sich die Kommunikation, die emotionale Unterstützung, finanzieller Support, rechtliche Beratung und auch die so wichtige politische Verantwortung: denn was bedeutet es, wenn ein Konzept gelebter Solidarität fehlt?

Was das Buch aus meiner Sicht so wertvoll macht, ist sein kollektiver Hintergrund. Denn auch wenn Anlass für das Buch der Tod eines vertrauten Menschen war, ordnet diesen das AutorInnen-Kollektiv in den größeren politischen Zusammenhang von Aktivismus, gelebtem Anarchismus, gelebter Gemeinschaft und Solidarität in einem Klima des täglichen Kampfes gegen faschistische Angriffe, gegen staatliche Repression, ein.

Im Schlusskapitel, “Illegalität” sind vier sehr spannende Interviews abgedruckt. Zum einen mit einem Menschen der die Erfahrungen teilt die gewonnen wurden, als es galt, einer flüchtenden Person Unterstützung zu gewähren, welche emotionalen und menschlichen Herausforderungen das gerade auch für unterstützende Beteiligte bedeutet.

In den weiteren Interviews berichtet Margit Schiller, verurteilt wegen Mitgliedschaft in der RAF, wie sie 1985 nach Kuba ins Exil ging, gehen musste (um so einer erneuten Verhaftung und auch möglichen Verurteilung zu entgehen). Dann folgt ein Gespräch mit Thomas und Bernd vom K.O.M.I.T.E.E. die seit 27 Jahren auf der Flucht vor der deutschen Strafjustiz nunmehr legalisiert in Venezuela leben; nach dem Interview, im Mai 2021 ist Bernd gestorben. Im vierten und letzten Interview gibt ein ehemaliges Mitglied der ETA über das Leben in der Illegalität, auf der Flucht vor der Justiz und welche Härten, aber auch Möglichkeiten dies mit sich bringt.

Das Buch sollte nicht nur in jeder linken Buchhandlung stehen sondern vor allem viel gelesen werden, denn die Repressionsspirale dreht sich immer weiter, und es wird immer Menschen geben die in die Illegalität getrieben werden, gehen müssen. Was dann? Wie geht das Umfeld damit um? Hier bietet das Buch “Ich vermisse euch wie Sau” einen aktuellen, vor allem authentischen und auch sehr selbstkritischen Einblick. Aber genauso auch Hilfestellung.

Bibltiografische Angaben:

Herausgeberkollektiv gata preta

Titel: “Ich vermisse Euch wie Sau”
Verlag: Immergrün (https://www.immergruen.cc)
ISBN: 978-3-910281-02-8

Preis: 12 Euro

Rezensent:

Thomas Meyer-Falk, z.T. Justizvollzugsanstalt (SV);
Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg
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neuer Radiobeitrag bei RDL

hier der aktuelle RDL Beitrag von Thomas

https://rdl.de/beitrag/wie-k-nnen-wir-kontakt-kommen-und-ihn-halten

Solidarität mit Radio Dreyecksland (RDL) auch aus dem Knast

Der Angriff auf die Pressefreiheit am 17.Januar  auf RDL ist in aller Schärfe zurückzuweisen!

Auch hier aus dem Gefängnis solidarische Grüße an die verfolgten Betroffenen sowie an RDL.

Ich bin selbst Redakteur bei RDL und es notwendig, dass diesem offensichtlichen Versuch der Einschränkung der Pressefreiheit  in aller Schärfe bundesweit und spektrenübergreifend  entgegengetreten wird.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV),

Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg

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Anti-Knastdemo Ende 2022 – aus Gefangenensicht!

Am 31.12.2022 fand, wie nun seit vielen Jahren, eine Anti-Knastdemo vor den Mauern des Freiburger Gefängnisses in Südbaden statt. Im Gegensatz zu früheren Jahren muss der Polizeieinsatz dieses Mal wohl massiv gewesen sein und folgt man der Liveberichterstattung versuchte die Polizei offenbar das Abfeuern von Feuerwerk aus der Demo heraus zu unterbinden.

Wir hier in der Haftanstalt die baulich keine Sicht auf die Strasse vor das Gefängnis haben konnten an Silvester 2022 wieder über Radio Dreyeckland (https://www.rdl.de) live mit dabei sein, denn neben dem Livestream übertrug RDL auch auf seiner UKW-Frequenz.

So konnten wir hören wie sich die Demo kämpferisch und lautstark gegen die offenbar massive Polizeipräsenz und auch die Blockade der Demo durch behelmte Polizist*innen verteidigte. In Redebeiträgen wurde auf die revolutionäre Situation im Iran ebenso verwiesen, wie auf die desolate Lage in der bundesdeutschen Abschiebehaft.

Und auch die politische musikalische Live-Performance kam richtig gut an. Hier in der Abteilung Sicherungsverwahrung standen einige von uns an den Fenstern, manche saßen im Hof, andere in ihren Zellen und hörten so der Demonstration zu.

Ein besonderer Dank gilt den Redakteur*innen von RDL welche die Live-Übertragung ermöglicht haben! Und ganz besonders an all die Aktivist*innen die vor den Knastmauern waren und sich auch von der Polizeipräsenz nicht haben beeindrucken lassen!

Für gefangene Menschen sind Proteste wie die an Silvester 2022 Mut machend, denn sie spannen ein Netz der Solidarität zwischen den Welten und deren Menschen: vor und hinter den Mauern, und wie die Redebeiträge deutlich machten, auch über Regionen und die menschengemachte Grenzen hinweg!

Das Feuerwerk während der Demo und bis nach Mitternacht von vielen Zellenfenstern aus beobachtet, fügt sich hier gut ein, denn es symbolisiert mit jedem einzelnen Funken am Nachthimmel die Vergänglichkeit. Ob nun des eigenen Lebens, von Herrschaft jeder Art und im Kontext Gefängnis, symbolisiert es die Unbeständigkeit von Knastsystemen! Zugleich bietet es auch die Möglichkeit den Moment zu genießen. Die Farbenpracht, die Energie, die Ästhetik der ganz verschiedenen farbenreichen Effekte.

Darum geht es doch am Ende auch immer: trotz allem das Leben zu genießen! Es auszufüllen, trotz alledem! 2022, 2023 und für alle Zukunft!

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV),

Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg

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Solidarität mit Alfredo – über alle Mauern hinweg!

Alfredo Cospito sitzt in Sizilien unter dem Haftregime „41-bis“ im Gefängnis und wird in strenger Isolation gehalten. Er wehrt sich gegen die Haftbedingungen mit einem Hungerstreik, setzt sein Leben ein für den Protest gegen die unmenschlichen Haftbedingungen.

 Keine Besuche (mit Ausnahme von Angehörigen), Bücher dürfen ihm nicht zugeschickt werden, kein Zugang zu Zeitungen – und er darf auch keine Artikel mehr schreiben. Zurückgeworfen ganz auf die rein physische Existenz, letztlich dem seelischen Tod ausgeliefert.

Die Haftverschärfung in seinem Fall geht zurück auf eine Entscheidung des Kassationshofes welches einen Bombenanschlag aus dem Jahre 2006, bei welchem niemand getötet oder verletzt wurde, als vollendetes politisches Attentat wertete und da Alfredo keine Reue zeige, mit der lebenslangen Verwahrung unter dem berüchtigten „41-bis“ Strafvollzugsartikel belegte.

Das hier der Staat Rache übt an einem ungebeugten Anarchisten und Aktivisten, der sich auch in den Jahren im Gefängnis nicht hat brechen lassen, liegt auf der Hand. Sehr hellsichtig hat Friedrich Nietzsche einmal geschrieben „ ,Strafe‘ nämlich, so heißt sich die Rache selber: mit einem Lügenwort heuchelt sie sich ein gutes Gewissen“ (aus: Also sprach Zarathustra).

Lebenslange Freiheitsstrafe ist schon selbst eine Form der versteckten physischen Todesstrafe, aber Menschen dann zusätzlich noch weiterer Isolation zu unterwerfen, das erweitert das Spektrum des Rachevollzugs auf die psychische, die seelische Ebene. Menschen benötigen mehr als etwas zu Essen und zu Trinken um zu überleben! Die menschlichen Beziehungen sind essentiell um leben zu können. Aber eingesperrt in der kahlen Zelle, so gut wie keine menschlichen Kontakte, kein Zugang zu Büchern und anderem mehr, all das kann und soll, nach der Logik der Justiz, Menschen brechen. Rache in ihrer Reinform!

Hiergegen kämpft Alfredo mit seinen Mitteln und Möglichkeiten. Er attackiert nicht etwa physisch Knastpersonal, nein, er setzt sein eigenes Leben ein! Er hungert! Und hungert! Und hungert!

Solidarität mit Alfredo!

Abschaffung des „41-bis“!

Thomas Meyer-Falk

– selbst von 1996-2007 in Isolationshaft –

z.Zt. JVA (SV)

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Rechte Gewalt in den 90ern – ein Lesetipp!

Immer wieder erscheinen in der Publikationsreihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“ der Bundeszentrale für politische Bildung lesenswerte Ausgaben.
So vor wenigen Tagen zu dem im Titel genannten Phänomenbereich.

In sechs Beiträgen beleuchten die Autor:innen Geschichte, Entwicklung und versuchen sich mitunter auch an einer Typologie rechter Gewalt in der BRD in den 90ern.
Virchow spannt dabei den geschichtlichen Bogen noch weiter und beleuchtet punktuell auch die Zeit nach 1945.

Eingeleitet wird die Ausgabe von einem Essay Christian Bangels, einem Journalisten von Zeit-Online, der über den Hashtag Baseballschlägerjahre schreibt, dabei auch seine eigene Geschichte als Teenager in Frankfurt a.d.Oder und Konfrontationen mit (Neo)Nazis thematisierend.

Perinelli, ein Referent an der Akademie für politische Bildung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, stellt die migrantische Perspektive in den Mittelpunkt seines Aufsatzes.
Franka Maubach (Uni Wuppertal) erinnert an Mölln, an Solingen und die Geschichte des Rassismus in der Bundesrepublik.

Im vorletzten Beitrag der Ausgabe analysiert Raj Kollmorgen (Professor an der Hochschule Zittau/Görlitz) die Kultur- und Gesellschaftsgeschichte des Rechtspopulismus in Ostdeutschland.
Mit einem Blick auf die Debatte um Jugendarbeit und rechte Gewalt seit den 1990er Jahren schließt die Doktorandin Lucia Bruns.

Die Ausgabe ist online kostenlos zugänglich und kann auch in Papierform dort kostenlos nachbestellt werden.

https://www.bpb.de/apuz
Titel: „Aus Politik und Zeitgeschichte: Rechte Gewalt in den 1990er Jahren“
Ausgabe Nr. 49-50/2022 vom 05.12.2022

Rezensent:
Thomas Meyer-Falk
Z.Zt. JVA Freiburg
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