hier der Beitrag der Redaktion „Ausbruch – die Antirepressionswelle“ von Radio Dreyeckland
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hier der Beitrag der Redaktion „Ausbruch – die Antirepressionswelle“ von Radio Dreyeckland
Veröffentlicht unter Strafvollzug, Texte aus der SV
Wie vor einigen Wochen in eigener Sache berichtet, kam eine Psychiaterin zu dem Ergebnis, dass von mir keine schwersten Gewalttaten zu erwarten seien. Hieran scheinen nun Haftanstalt und Gericht zu zweifeln.
Die Vorgeschichte
Seit Oktober 1996 sitze ich in Haft, seit 2013 in der Sicherungsverwahrung. Eine sogenannte Maßregel der Sicherung und Besserung, eingeführt mit Gesetz vom 24. November 1933. Seitdem können Menschen in Deutschland auch nach Haftverbüßung festgehalten werden, selbst bis sie tot sind. Jährlich prüft eine mit drei richterlichen Personen besetzte Kammer, ob die Fortdauer der SV notwendig ist. Nach 10 Jahren ist eine besonders ausführliche Prüfung notwendig. Da ich vor einer Gesetzesreform der CDU/FDP-Koalition von Anfang 1998 verurteilt wurde – seinerzeit wurde die Obergrenze von maximal 10 Jahren Dauer der SV gekappt und auf (potentiell) „lebenslänglich“ verlängert – gilt ein eingeschränkter Vertrauensschutz in die alte Regelung, jene mit der maximalen Obergrenze.
Bei diesen sogenannten „Altfällen“ darf die Verwahrung über 10 Jahre hinaus nur fortdauern, wenn schwerste Gewalttaten mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen und zugleich eine psychische Störung vorliegt (vgl. für jene, die die rechtlichen Aspekte nachlesen möchten, Artikel 316 Buchstabe f im EG StGB, das ist das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, in welchem solche Sonderbestimmungen aufgeführt sind).
Das Gutachten
Die Psychiaterin Frau Dr. Schmitt (Name geändert) kam zu dem Ergebnis, dass von mir nicht nur keine schwersten Gewalttaten zu erwarten seien, sondern es seien gar keine rechtlich erheblichen Straftaten zu erwarten. Dies begründete sie auf über 120 Seiten.
Nachdem das Gutachten der Haftanstalt und dem Gericht zugegangen war, eröffnete mir die für mich zuständige Stationspsychologin Frau W. die wesentlichen Ergebnisse und deutete dabei aber auch schon an, dass man seitens der Anstalt vermutlich einige Fragen an die Gutachterin haben werde. Denn noch 2019 kam ein anderer Gutachter, Professor Dr. Bandelow, lediglich zu dem Ergebnis, es sei nicht hinreichend sicher auszuschließen, dass ich wieder straffällig würde (das sind juristische Feinheiten, die rechtlich erhebliche Auswirkungen haben).
Meine erste Reaktion
Nachdem mir Frau W. die wesentlichen Ergebnisse mitteilte, war mir klar, dass nun eine angeregte Zeit folgen würde, denn die baden-württembergische Justiz hat meine Anfangszeit nicht vergessen. Ich saß von 1996 bis 2007 in Einzelhaft/Isohaft und wurde wegen Beleidigung/Bedrohung von PolitikerInnen und RichterInnen zu insgesamt 5 Jahren 3 Monaten Haft verurteilt. All das ist über 20 Jahre her, aber so etwas wird nicht vergessen.
Ich stellte also Anträge bei Gericht auf sofortige Entlassung, denn sollten von mir keine rechtlich erheblichen Taten zu erwarten sein, würde die Rechtsgrundlage für die weitere Verwahrung entfallen (vgl. § 67 Buchstabe d StGB). Zugleich beantragte ich bei der Haftanstalt die Gewährung von Hafturlaub, unbewachten Ausgängen und ähnliche Lockerungen, denn die Gutachterin hatte Lockerungen vorgeschlagen, eine Fluchtgefahr ausgeschlossen und zudem für eine alsbaldige Freilassung auf Bewährung plädiert.
Die Reaktion von Gericht und Haftanstalt
Seitens der vorsitzenden Richterin der 12. Strafvollstreckungskammer wurde mir mitgeteilt, dass man nun erst mal Stellungnahmen von den Verfahrensbeteiligten abwarten müsse. Vorher passiere gar nichts. Der Leiter der Abteilung Sicherungsverwahrung, Dipl. Sozialpädagoge Herr G. ließ mich in einem persönlichen Gespräch wissen, seitens der Anstalt und des Gerichts gäbe es viele, viele Fragen an die Sachverständige Frau Dr. Schmitt (Name geändert).
Wesentliche Punkte seien nämlich nicht konsistent, nicht frei von Widersprüchen, oder es fänden sich für zentrale Schlussfolgerungen keine oder nicht ausreichend Belege, zudem gebe es Diskrepanzen zu dem oben erwähnten Vorgutachten von Professor Dr. Bandelow.
Zudem sei es auch nicht von Vorteil, dass ich in den letzten neun Jahren kein einziges Mal zu den jährlich stattfindenden Anhörungen erschienen sei, erst jetzt, im 10. Jahr zu dem Termin zu gehen, das sei ein wenig spät, da ich so verhindert hätte, dass das Gericht mich „vorab“ schon mal hätte persönlich kennen lernen können.
Nun werde man seitens der Anstalt binnen weniger Tage erst mal umfänglich zu dem Gutachten und all den Kritikpunkten Stellung nehmen. Dann müsse man abwarten, wie die Gutachterin sich hierzu verhalte.
Ausblick
Es wird nun in den kommenden Wochen und Monaten ein Austausch von Stellungnahmen zwischen Haftanstalt, Gutachterin und Verteidigung folgen. Wie das Ergebnis dann lauten wird, ist offen. Vor wenigen Tagen hat die Dortmunder Professorin Graebsch in einem sehr lesenswerten Artikel im „Neuen Deutschland“ (https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168354.sicherungsverwahrung-tiefer-eingriff-in-die-seele.html) dargestellt, vor welchen Schwierigkeiten Sicherungsverwahrte im Allgemeinen stehen und im Besonderen, wenn sie entlassen werden wollen. Insofern ist meine eigene Situation, wie ich sie oben beschrieben habe, nicht ungewöhnliches. Die allermeisten Sicherungsverwahrten in Deutschland stehen vor ähnlichen Hindernissen, sobald es in Richtung „Freiheit“ geht.
Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA (SV)
Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com/
Veröffentlicht unter Strafvollzug, Texte aus der SV
Vor wenigen Tagen hat das ND in 2 größeren Beiträgen kritisch zu aktuellen Lage der SV berichtet.
Zum einen schrieb die Dortmunder Professorin Christine Graebsch aus rechtlicher und psychologischer Sicht übr das Thema. (https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168354.sicherungsverwahrung-tiefer-eingriff-in-die-seele.html)
Zum anderen war das ND so freundlich, mir Platz nach rund 9 Jahren eigenen Lebens in der SV für einen Erfahrungsbericht einzuräumen. (https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168355.sicherungsverwahrung-im-totenhaus.html)
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA-SV-Abtlg., Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com
http://www.freedom-for-thomas.de
Im Totenhaus
Die Liebe zum Leben kann in Sicherungsverwahrung nicht entstehen. Diese Schlussfolgerung zieht unser Autor in seinem Erlebnisbericht über ein Jahrzehnt in der JVA Freiburg
THOMAS MEYER-FALK
Shorty ist Mitte 40, er sitzt seit vielen Jahren in Sicherungsverwahrung. Wer ihn kennenlernt, denkt sich erst mal, der ist doch kaum älter als 20. Er bringt jedoch eine typische Vollzugsbiografie mit: Als Kind Heimaufenthalte, inklusive erlebter Misshandlungen, früher Eintritt in den Jugendstrafvollzug, danach, nachdem er unter Drogeneinfluss Einbrüche begangen und ältere Frauen vergewaltigt hatte, langjähriger Strafvollzug. Nach Absitzen der regulären Strafe kam die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Handwerklich sehr begabt, aber durch langjährigen Drogenkonsum, ADHS, dem sogenannten Zappelphilip-Syndrom und einer nie wirklich gelungenen Sozialisierung, im Haftalltag ziemlich auffällig. Er bringt mit seinen Ideen viele zum Lachen – und das Personal zum Verzweifeln. Da sind die Namensschilder an den Büros, die er auswechselt, so wird aus dem »Stationsleiter«, der »Stationseiter«, der Müllraum ist plötzlich mit dem Schild des vorgesetzten Bereichsleiters versehen. Mal hat er eine Fledermaus, ein anderes Mal einen Raben in seiner Zelle. Letzterer flog dann quer über den engen Stationsflur und verkackte alles – endlich mal pulsierendes Leben im von manchen Insassen nur noch sarkastisch »Totenhaus« genannten Bereich der Sicherungsverwahrung. Denn sie sterben hier. Liegen die Nacht über tot in ihren Zellen, wo sie erst morgens aufgefunden werden. Sie fallen tot im Gefängnishof um. Sie schlafen friedlich im Freizeitraum ein, wo sie Stunden später von Mitinsassen gefunden werden.
Mir begegnen zudem Menschen mit Schlaganfällen. Ebenso jene, die nur noch mittels Rollator unterwegs sein können, und wir hatten auch schon Männer in Rollstühlen auf den Stationen. In Erinnerung ist mir auch M., er war einige Jahre mein direkter Zellennachbar. Nach einer Operation in der Leistengegend musste er zur Wundheilung ins Gefängniskrankenhaus Hohenasperg, dort geriet die Wundheilung außer Kontrolle und ihm wurde das ganze Bein amputiert. Als er nach Monaten soweit wiederhergestellt war, dass man ihn vom Gefängnishospital zurück in die Strafanstalt verlegen konnte, kam er wieder in die Justizvollzugsanstalt Freiburg. Hier hatte man extra Personal für ihn eingestellt, welches ihn nachts, wenn eigentlich alle Insassen in ihren Zellen weggeschlossen sind und deshalb viel weniger Personal in den Anstalten präsent ist, im Bett drehen sollte, damit er sich nicht wundliege. Er überlebte den Transport jedoch um nur wenige Stunden: Kaum in der Justizvollzugsanstalt angekommen, starb er am Folgetag. Wir sehen: Auch der bettlägerige Einbeinige scheint noch eine hohe Gefahr für die Gesellschaft darzustellen.
Zu einem ernüchternden Ergebnis kam erst im Mai das Landgericht Freiburg. Es musste über die Schuld zweier Mittdreißiger befinden, beide in Sicherungsverwahrung, angeklagt, andere Insassen verprügelt und in einem Fall sogar geplant zu haben, einen von ihnen zu ermorden. Als »Rattengift-Prozess« machte das Verfahren regional Schlagzeilen, denn die Angeklagten sollten das Gift aus den im Gefängnishof stehenden Fallen entnommen haben. Von dem Mordvorwurf wurden sie freigesprochen, denn in der Verhandlung kam der Verdacht auf, das angebliche Opfer habe die Sache inszeniert, vielleicht um sich an den beiden zu rächen. Jedenfalls zeichnete die Vorsitzende Richterin in ihrer mündlichen Urteilsbegründung ein bedrückendes Bild von den Haftumständen in der Sicherungsverwahrung. Etwaige Ziele, wie das Erlernen sozialen Verhaltens, seien dort wohl kaum erreichbar.
Heute kann die Sicherungsverwahrung im Regelfall nur noch wegen schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten angeordnet und vollstreckt werden. Momentan sitzen etwa 600 Männer und weniger als eine Handvoll Frauen in den Trakten der Sicherungsverwahrungsabteilungen. Diese sind jeweils Strafanstalten angegliedert, beispielsweise in Berlin-Tegel, Bautzen oder Freiburg.
Zurück zu dem Gefangenen mit dem Spitznamen Shorty: In den Jahren der Sicherungsverwahrung nimmt er diverse therapeutische Angebote an, von Bewegungstherapie bis zu einem speziellen Gruppenprogramm für Sexualtäter. Er steht offen zu seinen Taten und bekundet Scham und Reue. Er beteuert immer wieder, jetzt, nach über 20 Jahren hinter Stacheldraht, Gittern und Mauern, sei ihm klar, er werde nie wieder andere Menschen verletzen. Dies genügt jedoch nicht ansatzweise, um freigelassen zu werden, denn die Anstalt und die Gutachter gehen davon aus, dass es keinen tiefgreifenden inneren Wandel in seiner Persönlichkeit gegeben habe, er lediglich verbal beteuere, nun alles einzusehen. Und so wird sein Verhalten zusehends destruktiver, wenn auch zu seinem eigenen Schaden; Fremdaggressionen gab es so gut wie keine. Zuletzt bastelte er eine kleine Armbrust, wohl wissend, dass so etwas in einer Justizvollzugsanstalt für Riesenärger sorgen würde. Es kam dann, wie es kommen musste, das Wachpersonal fand die Armbrust und er landete für viele Monate in strenger Einzelhaft. In der Sicherheitszelle mit Stahltoilette und an den Boden festgeschraubtem Bett fing er später aus Protest an, in die Zelle zu pinkeln, aber auch, durch einen schmalen Spalt in der Zellentüre, hinaus auf den Flur. Die Zellenwände verschmierte er mit Nudeln, Soßen und anderem.
Regressive Verhaltensmuster sind gerade im Bereich der Sicherungsverwahrung immer wieder zu beobachten. Sind Gefängnisse doch per se keine Orte, an denen Menschen mit kaputten Biografien wirklich die Liebe zur Freiheit und die Liebe zu leben lernen, weshalb immer wieder der Ruf zu hören ist, es müssten Alternativen her, Gefängnisse gehörten abgeschafft. Vereinzelt unterstützen sogar ehemalige Gefängnisdirektoren wie Thomas Galli, lange Jahre Gefängnisjurist in Bayern und zuletzt in Sachsen Leiter einer Haftanstalt, solche Forderungen. Auch international wird sich zusehends vernetzt, um Alternativen zum Strafvollzug aufzuzeigen, wie das vor wenigen Jahren veröffentlichte »No Prison Manifesto« von Rechtswissenschaftler*innen, Kriminolog*innen und Theolog*innen zeigt.
Als Shorty und ich noch auf derselben Station wohnten, er am einen Ende des Flurs, ich am anderen, trafen wir uns morgens erst mal zum Kaffee, manchmal auch zum Schachspielen. Oder wir berieten über rechtliche Fragen: Wie könnten wir gegen Maßnahmen der Leitung der Justizvollzugsanstalt möglichst erfolgreich vorgehen? Im Laufe der Jahre gewann er so manches Verfahren.
Als ihm eines Tages der Gefängnisarzt das Ritalin-Medikament radikal absetzte, klagte er sich durch mehrere Instanzen, bis er beim Oberlandesgericht Karlsruhe einen durchschlagenden Erfolg erzielte. Zunächst war Shorty dabei ertappt worden, die Tablette nicht etwa geschluckt, sondern in seiner Hand versteckt zu haben, um sie aus dem Sanitätszimmer zu schmuggeln. Alle seine Erklärungsversuche halfen nichts. Auch nicht der Umstand, dass das ADHS-Medikament den Hunger dämpfe, er nach Einnahme unter Appetitlosigkeit leide, deshalb schon erheblich abgenommen habe und er das Medikament deshalb erst nach dem Essen nehmen wolle. Das von ihm eingeschaltete Landgericht ließ sich noch nicht überzeugen. Es meinte lapidar, medizinische Fragen seien gerichtlich kaum nachprüfbar. Deshalb zog Shorty vor die nächste Instanz. Weil hinter Gittern kaum etwas schnell geht, dauerte es rund ein Jahr vom Entzug des Medikaments, bis sich dann nach dem Urteil des OLG letztlich auch der Anstaltsarzt beugte und Shorty wieder das Medikament verordnete.
Mittlerweile wurde Shorty in ein anderes Bundesland verlegt, so soll ihm ein Neuanfang ermöglicht werden. Noch einmal von vorn beginnen. Nach über 20 Jahren im baden-württembergischem Strafvollzugssystem möchte er in Nordrhein-Westfalen versuchen, seinem Leben eine positive Wendung zu geben.
Schuldig geworden an anderen und ihre von der Gesellschaft durch die Gerichte zugedachte Strafe abgesessen, leben die Sicherungsverwahrten dennoch weiter in den Gefängnissen. Eine Freilassung erfolgt erst dann, wenn meist mehrere psychiatrische Sachverständige und auch die Gerichte zu der Einschätzung gelangen, weitere schwere Straftaten seien künftig nicht mehr zu erwarten.
In vielen Fällen dauert die Unterbringung jedoch bis zum Tod, weshalb neben Insass*innen auch kritische Kriminolog*innen und Jurist*innen die Sicherungsverwahrung letztlich als eine Art von Todesstrafe bezeichnen. Selbst das Bundesverfassungsgericht sprach in seinem Urteil zur Sicherungsverwahrung 2004 von »hoffnungslos Verwahrten«, die bis zu ihrem Lebensende nicht freigelassen würden. Dabei können sich die Betroffenen auch auf Papst Franziskus berufen, der vor einigen Monaten die lebenslange Freiheitsstrafe als eine »versteckte Todesstrafe« (Enzyklika »Fratelli tutti«, Randnr. 268) bezeichnete. Und was ist – zumindest aus Sicht der Einsitzenden – die Sicherungsverwahrung letztlich anderes?
Thomas Meyer-Falk sitzt seit 2013 in der JVA Freiburg in Sicherungsverwahrung.
Er hat in dieser Zeit etwa 60 Sicherungsverwahrte kennengelernt.
Veröffentlicht unter Strafvollzug, Texte aus der SV
Im Herbst 2022, wieder wurden Temperaturrekorde gebrochen, haben sich politische Parteien sowie ein großer Teil der Medienhäuser in Deutschland verbündet, um mit Fake News oder an Fake News grenzender Argumentation und Berichterstattung Umweltbewegungen zu delegitimieren, moralisch zu diskreditieren und schließlich auch zu kriminalisieren. Wenn dabei von CDU über die SPD, GRÜNE bis hin zu Deutschlandfunk und BILD TV eine inoffizielle Allianz eingehen, dann dürfte das jedoch zu gleich auch Beleg dafür sein, dass die Aktivist*innen im Auto-Land BRD mit ihren Forderungen einen Nerv getroffen haben.
Jene Neugeborenen des Jahres 2022, zumindest im globalen Norden mit einer Lebenserwartung von über 80 Jahren, sie werden im 22.Jahrhundert, wenn sie dereinst im Schaukelstuhl sitzen, mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Welt leben, die in weiten Teilen unbewohnbar sein dürfte. Schon heute machen sich die Hungrigen dieser Erde auf den Weg zu den Schuldigen dieser Erde. Die Europäische Union, ebenso wie die USA versuchen durch ihre brutalen Grenzregime die hungrigen dieser Erde fern zu halten. Dabei geflissentlich übersehend, dass die Satten von heute die Hungrigen von morgen sein werden! Die dann ihrerseits an militärisch gesicherten Grenzen sterben werden.
Neben Krieg und Armut ist die Erhitzung des Planeten ein wesentlicher Migrationsfaktor. Jede*r mit offenen Ohren und Augen kann hören und sehen, wie sich G7/G20-Staaten in Millimeterschritten, wenn überhaupt, bewegen um dazu beizutragen die Welt auch noch in 100, 200 und mehr Jahren in weiten Teilen bewohnbar zu halten. Der Jugend von heute anzusinnen, sie möge sich „auf den Marsch durch die Institutionen“ begeben, erscheint ebenso weltfremd wie unverantwortlich. Die wirtschaftlichen und politischen Eliten der Gegenwart werden ihrer Generationen übergreifenden Verantwortung nicht gerecht (was letztlich, wenn wir ehrlich sind, auch niemand von ihnen erwartet), wenn sie versuchen relevante Veränderungen auf die Zukunft zu vertagen. Denn jetzt muss gehandelt werden. Nicht erst in 10,20,50 Jahren, sondern heute!
Angesichts dieser Ausgangssituation erscheint es mir geradezu existenziell, dass Menschen, welche unter Inkaufnahme von Verleumdung, Repression, in einigen Fällen sicherlich auch der Inhaftierung eben jene intergenerationelle Verantwortung ausbuchstabieren, unsere Solidarität erfahren. Sie handeln nämlich dort, wo die Mehrheit der Menschen es lieber bei einer Tasse fair gehandeltem Grünen Tee oder dem Grillnachmittag mit Billigfleisch im Garten bewenden lässt und über die letzte Hitzewelle oder Sturzflut allenfalls klagt. Während zur selben Zeit die Hungrigen an den Grenzzäunen oder im Mittelmeer namenlos, gesichtslos und stimmlos sterben. Während zeitgleich das Eis der Arktis weiter schmilzt. Während in weiten Teilen Afrikas der Boden verdorrt, das Vieh verendet und die Menschen verhungern!
Deshalb: Solidarität mit den Aktivist*innen von „Letzte Generation“, „Extinction Rebellion“ und „FFF“!
Thomas Meyer-Falk, z. Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),
Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg
Veröffentlicht unter Allgemeines/Soziales/Krieg
Der Titel ist einem in diesem Jahr erschienen Gedichtband Asiye Müjgans entnommen. Die vor 65 Jahren in der Türkei geborene diplomierte Soziologin und Autorin lebt seit 1997 in der Schweiz, wo sie als Konfliktmanagerin arbeitete.
In ihrem ersten in deutscher Sprache erschienen Buch „Gelächter, das die Mauern überwindet“ (Trikont Dialog Edition, 2020), verarbeitete sie ihre eigenen Erfahrungen während ihrer Gefängniszeit in der Türkei, sowie die Erlebnisse anderer Gefährtinnen und Gefährten. Dort werden das Lachen und der Spott im Gefängnisalltag zur Kraftquelle, die der Brutalität der jeweiligen Gegenwart, sich allmächtig gerierender Staatsmacht damit oftmals mehr entgegen setzten, als es nackte Gewalt vermocht hätte.
Nun stellt sie in einem schmalen zweisprachigen, bebilderten Gedichtband ihre ursprünglich auf Türkisch entstandenen Gedichte vor, welche sie in einer Rohfassung auf Deutsch übersetzte, bevor dann Wolfram Malte Fues „das darin verborgene deutschsprachige Gedicht herauszuarbeiten“ sich bemüht habe, wie der ehemalige Professor und Literaturwissenschaftler in einer Nachbemerkung festhält.
In rund 40, oft sehr zarten, mitunter nur wenige Zeilen umfassenden Gedichten eröffnet die Autorin einen fragilen Zugang zur Welt, zur Sprache, zum spürenden Innengrund. Dabei treten die Fotos von Ömer Kanıpak, einem 1972 in Istanbul geborenen Fotograf, in einen stillen Dialog zu ihren Gedichten. Und so ergibt sich ein berührender und zugleich kraftvoller Einblick in die Gegenwartsdichtung. Gerade die Zweisprachigkeit, der Brückenschlag, macht den Gedichtband so wichtig.
„ Hintereinander / gehen die Gedanken / einer nach dem
anderen / rennend / ohne sich zu berühren. / Ich strecke meine Hand
aus / ach / wenn ich sie mal kurz anfassen dürfte.“
Bibliografische Angaben zu dem rezensierten Buch:
Autorin: Asiye Müjgan Güvenli
Titel: Perdenin Önü / Vor dem Vorhang
Verlag: Edition Howeg (Zürich, Schweiz)
ISBN: 978-3-85736-358-0
Preis: 32,00 €
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA-SV-Abtlg., Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg
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