Monatsarchiv: November 2020

Anklage gegen zwei Sicherungsverwahrte wegen angeblichem Giftanschlag

Im Frühjahr 2020 berichtete ich über einen angeblichen Mordversuch in der Abteilung Sicherungsverwahrung (SV) der Justizvollzugsanstalt Freiburg. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft tatsächlich Anklage zum Schwurgericht erhoben.

Die Vorgeschichte

Zur Osterzeit behauptete ein Insasse der SV, in seinem Tiefkühlgemüse, welches er in der Gemeinschafts-Eistruhe aufbewahrte, hätten sich blaue Klumpen befunden. Eingeleitete polizeiliche Ermittlungen ergaben, es soll sich um Rattengift gehandelt haben. Kurz vor dem angeblichen Giftanschlag war es zu einem körperlichen Angriff auf den Gemüsebesitzer und einen weiteren Verwahrten gekommen. Beide waren verprügelt worden. Von eben jenen zwei Tatverdächtigen, ebenfalls Sicherungsverwahrte, die nun in den Verdacht gerieten, das Gemüse des Mitverwahrten vergiftet zu haben.

Der Ermittlungsrichter am Amtsgericht Freiburg erließ Haftbefehl gegen Fenrir und Slim, wie ich die beiden in vorangegangenen Artikeln genannt habe. Sie kamen nach Offenburg, bzw. Stuttgart-Stammheim in Untersuchungshaft.

Die polizeilichen Vernehmungen

Die Freiburger Polizei vernahm in den Folgewochen diverse Insassen. Lediglich ein potenzieller Zeuge verweigerte jede Aussage, alle übrigen Insassen sagten aus, und manche davon kamen offenbar regelrecht in einen Redefluss und dienten sich sogar als Hilfspolizisten an, versprachen den Kriminalbeamten, sie würde andere Insassen befragen, bzw. aushorchen. Ein Insasse wollte gar aus seiner Zelle im 4. Stock genau gehört haben, wie die beiden Tatverdächtigen im Gefängnishof Pläne schmiedeten hinsichtlich körperlicher Angriffe auf andere Insassen. Ein weiterer Insasse wusste der Polizei zu berichten, dass einer der nun Verdächtigen ihn schon im Vorfeld der angeblichen Tat von Vergiftungsabsichten berichtet und gewarnt habe. Er möge nichts bei dem späteren Tatopfer essen, da man seine Vergiftung plane, so sei ihm gesagt worden. Auch über das angebliche Gift wussten viele Insassen erstaunliche Details: Es sei wohl aus den Rattenfallen im Gefängnishof entnommen worden. Ein redefreudiger Insasse mutmaßte, es könnte jedoch durchaus auch eingeschmuggelt worden sein.

Jetzt erfolgt die Anklage

Wie nun die Badische Zeitung in ihrer Ausgabe vom 19.11.2020 berichtet, hat die Staatsanwaltschaft Freiburg Anklage gegen die beiden tatverdächtigen Sicherungsverwahrten wegen versuchten Mordes erhoben, aber auch wegen Verdachts der gefährlichen Körperverletzung wegen der Schlägerei. Die Dosis des im Tiefkühlgemüse entdeckten Gifts sei potentiell tödlich gewesen, deshalb dann auch die Anklageerhebung zum Schwurgericht. Von anderer Seite wurde berichtet, beide Angeschuldigten sollen nun noch psychiatrisch begutachtet werden, da eine Verurteilung zur Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) in Betracht komme.

Der Ausblick

Sollten Fenrir und Slim verurteilt werden, droht ihnen neben einer längeren Haftstrafe die weitere Anordnung der Unterbringung in der SV, so dass eine Freilassung in noch weitere Ferne rücken dürfte. Zu einer eigentlich erforderlichen umfassenden Aufarbeitung der Geschehnisse gehört die Klärung der Frage, was es mit Menschen macht, die in der SV eintreffen und die letztlich nur einen langen, dunklen Tunnel ohne wirkliche Perspektive vor sich sehen. Die beiden Tatverdächtigen, sie sind gerade mal 36 bzw. 37 Jahre jung. Nun waren sie angekommen im zynisch als „Totenhaus“ verschrienen SV-Trakt! Aber hier müssen jährlich Insassen zu Grabe getragen werden, was in einer Gemeinschaft von rund 50 – 55 Menschen jedes Mal auch eine seelische Belastung darstellt. Nämlich zu erleben, dass mutmaßlich das eigene Ende genau so aussehen wird wie das der soeben Verstorbenen: Tod in der Zelle! Ohne jemals wieder die Chance bekommen zu haben, in Freiheit zu leben. Die Freiheit entzogen einzig auf Grund der Spekulation, man könnte ja vielleicht eines Tages erneut straffällig werden.

Es geht dabei nicht um Bagatellisierung von irgendwelchen Übergriffen oder ein Kleinreden der jeweiligen Vorgeschichten, sondern um die für viele Insassen intensiv erlebte Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit. Sie richten sich dann ein in den ihnen vertrauten dunklen Phantasien. Dabei erlebt eine Vielzahl der Insassen den Alltag tatsächlich nur noch als eine bloße Verwahrung. Als ein Warten auf das biologische Älterwerden und damit als ein Warten auf den Tod. Auch wenn die Todesstrafe in Deutschland abgeschafft ist, ist die Wahrnehmung, es handele sich letztlich um eine Todesstrafe auf Raten. Erst verkümmern die noch vorhandenen restlichen Gefühle, bzw. Gefühlswelten, und mit der Zeit dann auch der Leib. Da hilft dann auch nicht, dass sich die Anstaltsleitung bei jeder Gelegenheit rühmt, welch famose Therapieangebote sie den Insassen bereitstelle (über die Mängel aus Sicht der Insassen berichte ich seit Juli 2013 auf meinem Blog).

So gibt es dann vereinzelt Insassen, die sich gegen diesen Prozess auf die ihnen vertraute, wie so oft in ihrem Leben: destruktive, Weise auflehnen.

Und am Ende noch härter, mit noch längerer Freiheitsentziehung bestraft werden.

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. Justizvollzugsanstalt (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com
http://www.freedom-for-thomas.de

Radiobeitrag „Der Knast als nekrophiler Ort“

Warum Nekrophilie nach Erich Fromm sich auch auf Orte übertragen lässt, wie sich das im Knast zeigt und wie man das erträgt – Radiobeitrag bei Radio Dreyeckland, Sendereihe „Ausbruch – die Antirepressionswelle“ vom 22. November 2020

https://rdl.de/beitrag/der-knast-als-nekrophiler-ort

Neuigkeiten zur Geiselnahme in der Justizvollzugsanstalt Münster

Am 16.10.2020 kam es in der Justizvollzugsanstalt Münster (NRW) morgens um kurz nach 6 Uhr zu einer Geiselnahme.

Gegen 9:20 Uhr wurde der Insasse von Sondereinsatzkräften der Polizei erschossen.

Nun liegt ein Bericht des Justizministeriums vor.

Der Ablauf

Wie sich aus dem schriftlichen Bericht des Justizministeriums NRW zur 64. Sitzung des Rechtsausschusses des Landtages von NRW am 23.10.2020 ergibt, sei gegen 6:05 Uhr die Zelle des nur wenige Stunden später erschossenen 40 – jährigen Insassen durch drei Bedienstete geöffnet worden.

Dieser sei seit dem 23.09.2020 wegen Drohungen in Einzelhaft untergebracht gewesen, so dass die Zelle nur durch mindestens zwei Bedienstete geöffnet werden durfte.

Bei Zellenöffnung habe er eine 29-jährige weibliche Bedienstete an den Haaren gepackt, ihr einen messerähnlichen Gegenstand an den Hals gehalten und sei mit dieser durch das Hafthaus gegangen.

Er habe einen Hubschrauber gefordert.

Ab 6:50 Uhr hätten Polizeikräfte die Lage übernommen.

Gegen 9:20 Uhr seien dann von mehreren Polizisten des Sondereinsatzkommandos Schüsse auf den Gefangenen abgefeuert worden und dieser noch „vor Ort seinen …Verletzungen“ erlegen.

Er sei nicht im Besitz einer, wie zuvor in den Medien berichtet, Rasierklinge gewesen, sondern habe lediglich über eine „angespitzte…Zahnbürste“ verfügt.

Nach Angaben der Geisel hätte der Gefangene während der Geiselnahme geäußert, er sei der „Sohn der Jungfrau Maria“ und müsse „zu einem Feld an einem roten Haus in Spanien, um einen Hammer zu holen und mit diesem Hammer das Coronavirus zu besiegen“.

Verurteilt sei der Gefangene u.a. wegen fahrlässiger Trunkenheit (Geldstrafe, 2001), fahrlässigen Vollrauschs (Geldstrafe, 2006), versuchten Totschlags (4 Jahre 6 Monate sowie Unterbringung in einer Entzugsklinik, 2007) und Körperverletzung (Geldstrafe, 2019).

Aktuell habe er eine viermonatige Strafe wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, d.h. Polizisten (Urteil des AG Münster vom 21.02.2020) verbüßt, weil er auf dem Gelände der psychiatrischen Anstalt Münster am 04.09.2019 „randaliert“ und einem Platzverweis nicht Folge geleistet habe.

Bewertung

Die wenigen Mitteilungen über die Vorgeschichte des Mannes deuten, bei aller gebotenen Vorsicht, auf einen Menschen hin, der Hilfe und Zuwendung benötigt hätte und keine Isolationshaft und schon gar nicht den Tod durch Erschießen.

Allerdings ist es trauriger Alltag in Deutschland und auch andernorts, dass Menschen, die „psychisch auffällig“ agieren, hohes Risiko laufen, durch die Polizei erschossen zu werden.

Man braucht kein Prophet zu sein, um zu vermuten, dass die „noch laufenden Ermittlungen“ zu nichts führen werden.

Den Polizeikräften wird wahrscheinlich, wie in fast jedem solcher Fälle, bescheinigt werden, rechtmäßig von der Schusswaffe Gebrauch gemacht zu haben.

Problematisch erscheint auch die Außendarstellung des Falles, denn in regionalen wie überregionalen Medien war stets die Rede von Rasierklingen, was selbstverständlich viel aufregender und gefährlicher klingt als eine angespitzte Knastzahnbürste.

Und vom Plan des Mannes, in Spanien das Coronavirus mittels eines Hammers zu erschlagen, war auch nicht die Rede, nur die Forderung nach einem Hubschrauber schaffte es in die Meldungen.

So scheint hier am 16. Oktober ein einsamer, trauriger und verzweifelter Mensch erschossen worden zu sein.

Hat er wirklich so sterben müssen?

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),
Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg https://freedomforthomas.wordpress.com
http://www.freedom-for-thomas.de

Solidarität mit Lina E. aus Gefangenensicht

Wie vor einigen Tagen berichtet wurde, hat die Polizei am 5.11.2020 Lina
E. aus Leipzig verhaftet. Neben den erwartbaren, jeglichen
antifaschistischen Widerstand niedermachenden Artikeln aus der
rechtsbürgerlichen Presse (FAZ vom 7.11.2020: „Konspirativ und
gewalttätig“ oder auch „Die Welt“ vom 13.11.2020: „Schnell, klandestin
und kriminell“), gab es allerdings auch erfreulich reflektierte,
solidarische Berichterstattung (vgl. exemplarisch das Interview in
„Neues Deutschland“ mit Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten
Hilfe e.V. am 18.11.2020: „Ein Bedrohungsszenario wird aufgebaut“).

Ginge es nach FAZ und „Die Welt“, wäre wohl ein Strafprozess fast schon
überflüssig, die Verurteilung nämlich so gut wie sicher. Diese
(typische) Vorverurteilung, gepaart mit einem sexistischen Blick der
drei männlichen „Die Welt“-Reporter, wonach eine angeblich Gewalt als
Mittel der Auseinandersetzung einsetzende Frau unerhört erscheint, soll
die antifaschistische Aktion delegitimieren. Die Nazis als die hilfs-
und wehrlosen Opfer einer deren Tod „billigend in Kauf“ (FAZ) nehmenden
Linksextremistin, vervollständigen das kleinbürgerliche Narrativ.

Aus ihrem Alltagsleben herausgerissen und in das enge Korsett eines
Haftalltags gepresst worden zu sein, wird für Lina Kraftanstrengung
bedeuten, aber ich bin sicher, die vielfältige Solidarität, die sie
erfährt und erfahren wird, kann manches davon mildern. Zumal sich die
Vorwürfe gegen sie einreihen in die jüngsten staatlichen Repressionen,
ob in Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, Berlin und vielen anderen Städten,
mit Verhaftungen und Durchsuchungen. Die Verhängung von
Untersuchungshaft soll auch ganz direkt einen einschüchternden Effekt
auf Menschen vor Ort ausüben und ihnen den Mut zum Widerstand nehmen.
Sich aber nicht einschüchtern zu lassen, von nichts und niemanden,
darauf kommt es unverändert an! Vielmehr müssen wir das Leben so nehmen,
wie es Rosa Luxemburg in einem ihrer Briefe aus der Haft formuliert hat:
„Tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem!“.

Freiheit für Lina E.!

Thomas Meyer-Falk
z.Zt. JVA
https://feedomforthomas.wordpress.com

Shorty und die Armbrust-Affäre

Seit einigen Jahren berichtete ich immer wieder über Shorty, einen Sicherungsverwahrten in den 40’ern. Mittlerweile an die 20 Jahre in Haft, immer wieder Furore machend mit seinen kreativen und kuriosen Einfällen. Zudem ist er nicht bereit, sich dem Vollzugsregime widerstandslos zu ergeben, zieht dann gegen Maßnahmen vor Gericht und gewinnt dort immer wieder. Könnte man sein Verhalten, wie auch das anderer Insassen die destruktiv agieren, als einen Akt der Selbstverteidigung deuten?

Der 22.September 2020

An einem sonnigen Septembertag, es war Herbstanfang, gingen in der JVA Freiburg fünf sportliche Uniformierte den Flur der Station2, Abteilung Sicherungsverwahrung hinunter – in Richtung der Räume der Arbeitstherapie (AT). Was die dort wohl wollen? Sie kamen nach wenigen Minuten aus der AT mit Shorty im Schlepptau. Es sollte das letzte Mal sein, dass wir Shorty für Wochen gesehen haben. Als er abgeführt wurde, da wirkte er noch ganz entspannt.

Stunden später, also noch am selben Tag hörten wir es plötzlich aus dem Keller der Anstalt schreien und gegen die Wände und Zellentür trommeln. Shorty war im ‚Bunker‘ gelandet, juristisch korrekt: im besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände. Ein Loch im Boden als WC, Dauerbeleuchtung, Kameraüberwachung, ein reißfestes Hemdchen als Bekleidung. Shortys Trommeln gegen die Wände und Türen wummerte durchs ganze Haus. Fast drei Tage lang, immer wieder unterbrochen von einigen Stunden Stille.

Die Armbrust

Eine selbst gebastelte und funktionstüchtige Armbrust war, wie wir erfuhren, bei einer Durchsuchung in Shortys Zelle gefunden worden. Einige Tage später wurden Bedienstete beobachtet, die im Gefängnishof einen in mehrere Metern Höhe im Putz steckenden Pfeil fotografierten. In seiner Bastelfreude war Shorty auf die Idee gekommen, es wäre der passende Zeitpunkt eine Armbrust aus Stabilo-Stiften und einem Kondom zu basteln. Die Anstalt fand das dann nicht so lustig, zumal er in der Anfangszeit seiner Inhaftierung, er saß noch in Untersuchungshaft, an einer Geiselnahme beteiligt war.

Die anstaltsinterne Verlegung

Nach rund drei Tagen im ‚Bunker‘ wurde Shorty ins Hauptgebäude der Strafanstalt verlegt. Da er Sicherungsverwahrter ist und sich in der Vergangenheit schon Verwahrte gegen solche Praxis erfolgreich vor Gericht wehrten, war absehbar, dass er früher oder später wieder in der SV-Abteilung anstranden würde. Wie er uns dann vor einigen Tagen erzählte, kam er erst auf die Isohaft-Station der Strafanstalt, habe dort Nahrung und Trinken verweigert, sei von dort weiter gereicht worden auf die Krankenstation, bevor er schlussendlich im Iso-Trakt der SV landete. So kann er sich zumindest mit den anderen Sicherungsverwahrten am Fenster unterhalten, auch wenn er in seiner Zelle wenig mehr als einen Fernseher nicht besitzen darf, denn dort befindet er sich nach wie vor in strenger Einzelhaft.

Shorty, Fenrir, Slim- und die Selbstverteidigung

Schon um die Osterzeit 2020 kam es zu einem körperlichen Angriff an welchem zwei jüngere Sicherungsverwahrte, Fenrir und Slim (alle Namen geändert) beteiligt gewesen sein sollen: beide noch keine 40, schon lange Hafterfahrung hinter sich, durch die SV noch eine unabsehbare Zeit hinter Gittern vor sich, sollen zwei andere Sicherungsverwahrte in deren Zellen aufgesucht und dann körperlich attackiert haben. Weil man ihnen zudem einen versuchten Mord unterstellte, kamen sie für einige Monate in Untersuchungshaft.

Erst dieses Ereignis, und jetzt der Armbrustfund bei Shorty. Hier wie dort im Grunde eher destruktiv zu nennende Verhaltensmuster, welche von der Haftanstalt auf vertraute Weise, nämlich mit Repression, beantwortet wurde.

Allen drei Verwahrten ist neben dem eher noch jungen Alter, einem auffälligen spätadoleszenten Verhalten im Alltag (manche sprechen eher von pubertären Verhaltensweisen), einer langdauernden Inhaftierung, nämlich fast oder auch knapp mehr als 20 Jahren eine mit Händen greifbare Perspektivlosigkeit gemein. Und alle drei wollten unbedingt weg aus Freiburg, weg aus dem sarkastisch-zynisch als ‚Totenhaus‘ verschrienen Bereich der Sicherungsverwahrung. Nicht nur, weil hier jährlich Insassen sterben, sondern weil die SV auch einer seelischen Gruft zu ähneln scheint. Fenrir und Slim zieht es in andere Bundesländer und Shorty möchte einen Versuch in einer psychiatrischen Anstalt wagen.

Es ist ein geradezu tragisches Moment, dass die Überlebensimpulse von Shorty, Fenrir und Slim jedoch zwangsläufig vom Justizapparat auf die erwähnte Weise beantwortet werden mussten. Denn solche sind es: Überlebensimpulse, Akte der Selbstverteidigung. Der, wenn auch destruktive Versuch, sich dagegen zu wehren als Subjekt ausgelöscht zu werden, und fürderhin als zu verwahrendes gefährliches Objekt dem Strafsystem zur Verfügung stehend, nur darauf zu warten älter zu werden. Mitarbeitende der Justiz werden eine solche Deutung vermutlich vehement bestreiten und auf die vielen ‚Therapieangebote‘ hinweisen, welche auch Shorty, Fenrir und Slim offen gestanden hätten. So dass auch allen Dreien zumindest die Perspektive, eines (fernen) Tages wieder in Freiheit zu gelangen offen gestanden habe und letztlich, zumindest theoretisch, weiterhin offen stehe.

Zum Gehorsamssubjekt

Um sich diese Optionen offen zu halten, hätten sie sich allerdings zu unterwerfen gehabt, sie hätten zu „Gehorsamssubjekten“ (Byung-Chul Han, „Psychopolitik“) werden müssen, wogegen sie sich mit jenen Mitteln welche ihnen vertraut erschienen, gewehrt haben. Und um so mehr sie sich verteidigen, umso mehr müssen sie leiden: Isolationshaft, Entzug eines Großteils ihrer persönlichen Habe; im Falle von Fenrir und Slim zudem eine eklatante Verlängerung der sowieso unabsehbaren Dauer der Inhaftierung. Selbst wer sich unterwirft und das Los auf sich nimmt, sich als Gehorsamssubjekte einzuordnen, wird nicht zwangsläufig mit einer Freilassung belohnt. Im Gegenteil, immer mehr Insassen in der SV erleben, dass auch nach vielen Jahren therapeutischer Gespräche, Gruppen und Interventionen, die Entlassung aus der Haft in weiter Ferne liegt, denn es findet sich immer noch dieses oder jenes das der „therapeutischen Bearbeitung harrt. Je mehr sie sich anschmiegen an das Vollzugssystem, die Bediensteten hofieren, ihnen zu Gefallen sein wollen, um ihre Gunst wetteifern, um so mehr scheint deren ‚Ich‘ zu verlöschen.

Ein Prozess gegen welchen sich Shorty, Fenrir und Slim wehren und der Schule machen wird. Denn im Grunde jährlich treffen in den SV-Anstalten Menschen mit Ende 20, Anfang 30
ein, wo in früheren Jahren solche im Alter von über 50 oder jenseits der 60 anlandeten.

Ausblick

Die jüngeren Sicherungsverwahrten sind noch eher bereit sich zu verteidigen, wobei sie fast zwangsläufig auf das Verhaltensrepertoire zurückgreifen, das ihnen vertraut ist. Wie sollen sie es auch anders handhaben? Es ist schon schwer genug im Gefängnis zu sitzen, während die Strafe verbüßt wird, Aber vielen erscheint es zumindest noch irgendwie einsichtig, dass sich diese Gesellschaft des Mittels der Strafhaft bedient um begangene Straftaten zu ahnden (von Alternativkonzepten will ich heute gar nicht erst anfangen). Dieses Narrativ ist hier im Bereich der SV im Grunde täglich von den Insassen zu hören. Zu kippen beginnt es jedoch genau in dem Moment, in welchem die Strafe abgesessen ist und Mensch in der SV landet. Eingeführt mit Gesetz vom 24.11.1933 von den Nationalsozialisten, ermöglicht es die dauerhafte Inhaftierung auch nach Ende der Strafhaftzeit. Wenn es von Gerichten gebilligt wird: bis zum Tod!

Mit 29,30,35 oder 40 Jahren dann in eine SV-Anstalt aufgenommen zu werden, vor sich das Dunkel vieler Jahre, oder auch Jahrzehnte der Inhaftierung, darum wissend, dass die zugemessene Strafe verbüßt ist, lässt gerade die jüngeren Insassen rebellieren.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV),
Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com
http://www.freedom-for-thomas.de

Der sächsische Verfassungsschutz und der Linksextremismus

Nachdem ich Ende Juli 2020 beim LfV Sachsen Antrag auf Auskunft zu den dort zu meiner Person gespeicherten Daten beantragt hatte, erreichte mich Anfang November dieses Jahres, per Einschreiben mit Rückschein, die Antwort aus Dresden.

Die gewährte Auskunft

Mitgeteilt wurde, dass das LfV verschiedene Artikel von mir, welche ich angeblich als „Meldungen des Tages“ an die – Zitat – „linksextremistische Rote Hilfe“ gesandt haben soll, speichere. Darunter Texte zur AfD, zum Vollzug der Sicherungsverwahrung, einem Spaziergang durch Freiburgs Innenstadt. Weitere Speicherungen seien erfolgt im Zuge zweier Brandanschläge im August und November 2019, zu welchen sich ein „autonomes Kommando Thomas Meyer-Falk“ bekannt haben soll. Der Bescheid ist als PDF-Datei diesem Artikel angefügt.

Die verweigerte Auskunft

Eine weitergehende Auskunftserteilung lehnt das LfV ab, da eine solche „die Beobachtung des Linksextremismus durch das LfV Sachsen gefährden“ würde. Zudem könnten Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des LfV gezogen werden.
Insoweit dürfe von einer weiteren Begründung auch abgesehen werden.

Die Beschwerde

Da ich die Speicherung der Daten für ebenso rechtswidrig halte, wie die Verweigerung einer weitergehenden Auskunft, habe ich nun den Sächsischen Datenschutzbeauftragten gebeten, die Angelegenheit zu prüfen.

Ausblick

Mich, der ich sowieso in Haft sitze, tangiert die Speicherung nicht unmittelbar, hat auch keinen Einfluss auf den Haftalltag. Aber wie viele Menschen vor den Mauern würden alleine schon durch solche eine Speicherung möglicherweise Nachteile erleiden? Es ist ja ein Irrtum, dass eine Anfrage beim Verfassungsschutz nur dann erfolgt, wenn z.B. eine Tätigkeit in einem besonders sicherheitsrelevanten Bereich erfolgt oder erfolgen soll. Wer denkt z.B. an LagerarbeiterInnen in Firmen des Mittelstandes, die in die USA exportieren? Um seitens der Firmenleitungen bestimmte Freistellungen und Erleichterungen bei der Abwicklung des Exports in die USA in Anspruch nehmen zu können, dürfen selbst LagerarbeiterInnen durchleuchtet werden – und bei entsprechenden Auffälligkeiten, d.h. Rückmeldung durch die Sicherheitsbehörden, es lägen „Erkenntnisse“ über die/den ArbeiterIn vor, erfolgt fast zwangsläufig keine Freigabe und der Job ist plötzlich in Gefahr.

Welchen Bezug zum „Arbeitsauftrag“ des LfV Sachsen ein beschaulicher Text über meinen ersten Spaziergang durch Freiburgs Innenstadt, einer Stadt im Südwesten Badens, also irgendwie doch ziemlich weit weg von Sachsen, haben soll, das erschließt sich mir auch nach genauem Nachdenken nicht wirklich.

Der sächsische Verfassungsschutz gehört abgeschafft! Genauso wie die restlichen Geheim- und Sonderdienste! Und bis es soweit ist, weiß ich, ich habe zumindest ein oder zwei LeserInnen in der Neuländer Straße 60 in Dresden, dem Sitz des LfV!


Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA (SV)
Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com/
https://freedom-for-thomas.de
Datei: PDF iconBescheid LfV Auskunftsersuchen.pdf