Monatsarchiv: Juni 2020

Struktureller Rassismus in deutschen Behörden

Der Tweet der SPD-Vorsitzenden Esken, wonach in den Sicherheitsbehörden ein „latenter Rassismus“ vorhanden sei, führte zu den bekannten Beissreflexen, sei es aus besagten Behörden selbst, sei es aus der eigenen und aus anderen Parteien. Vergleichbar vielleicht mit dem Themenkomplex des Kindesmissbrauchs in der römisch-katholischen Kirche, wo ja auch hartnäckig jedwede Missstände geleugnet wurden (und stellenweise immer noch werden).

Latenter Rassismus

Was meint nun eigentlich ‚latent‘, denn Esken hatte hier die wohl zurückhaltenste Benennung gewählt. Der DUDEN verrät es: wir verstehen darunter „versteckt, verborgen, (der Möglichkeit nach) vorhanden, aber nicht offenkundig, nicht gleich erkennbar.

Von Rassismus spricht man eben erst nicht dann, wenn der Ku-Klux-Klan auftritt und Holzkreuze im Vorgarten verbrennt, sondern eben auch schon dann, wenn PolizistInnen gezielt jene kontrollieren, die ihnen nicht ‚Deutsch-genug‘ aussehen. Dazu zählt auch das typisch distanzlose Verhalten, wenn MigrantInnen (oder die in den Augen der Mitarbeitenden der Sicherheitsbehörden entsprechend ‚aussehen‘) regelmäßig zwangsgeduzt werden.

Exkurs: Justizvollzug

Auch wenn mein Erfahrungshorizont nur anekdotischen Charakter hat, aber ich beobachte seit jeher, wie Nicht-Deutsch-Aussehende Inhaftierte wesentlich öfters vom Personal gedutzt , als beispielsweise ich selbst. Anrede per Du und in Kasernenhofton einerseits, und freundlich-höfliche Ansprache per Sie andererseits; auch dies fällt unter den Bergriff Rassismus, da anknüpfend an eine tatsächliche oder nur imaginierte Gruppenzugehörigkeit,verunglimpfende Botschaften gesendet werden.

Rassistische Schmierereien an Zellenwänden – und JVA-Personal das sich weigert für eine Entfernung zu sorgen. Der Beamte der bei antisemitischen Sprüchen eines Insassen hämisch mitlacht. Oder jener der alle Schränke in seinem Büro mit Frakturschrift versieht, und darauf angesprochen treuherzig meint, das sei nunmal seine private Vorliebe und drücke keinerlei politische Haltung aus.

Vom latenten, zum systemischen Rassismus

Diejenigen die nun sich so ins Feuer werfen für die angeblich so demokratischen und jeglichen Rassismus abholden Bediensteten in den Sicherheitsbehörden, sie stellen sich schützend vor eben jenen systemischen, den institutionellen Rassismus. Der sich gerade nicht erst dann zeigt, wenn ein Polizist mit Ku-Klux-Klan-Kaputze auftritt, sondern schon viel, viel früher. Ich erspare mir hier die nähere Aufzählung und belasse es bei dem kursorischen Hinweis auf das Oktoberfest-Attentat, NSU, KSK, hessische Polizei, welche in den letzten Jahren und Jahrzehnten beredt Beispiel geben für den tief verankerten und nach wie vor wirksamen systemischen Rassismus in deutschen Behörden.

Er ist so weit verbreitet, dass entsprechende Handlungen vielfach als arg- und harmlos abgetan, oder gar beschönigt werden; hier zeigen sich dann Parallelen zum Sexismus.

Rassismus – eine Form bösartiger Aggression

Polizei und andere Justizeinrichtungen ziehen schon alleine auf Grund ihrer Beschaffenheit Menschen mit gewissen charakterlichen Grundstruktur, bzw. Disposition an. Tendenz zum Autoritären, dem Bedürfnis Macht über andere Menschen auszuüben, bis hin zur fast totalen Kontrolle (z.B.in den Gefängnissen oder den Polizeizellen, bzw. auch den Psychiatrieräumen). Selbst die scheinbar so nüchtern daherkommende Vergötterung der Technik fällt in diesen Bereich (biometrische Verfahren, Kennzeichen-Speicherung, DNA, uvm). Die mechanisch-elektronisch gewonnenen, nichtlebendigen Artefakte üben eine enorme Anziehung auf sie aus.

In all das fügt sich der Rassismus ein, der eine entsprechende Einstellung, Denk- oder Handlungsweise gegenüber Menschen bezeichnet, die anhand des Merkmals (scheinbarer oder tatsächlichen) ‚Herkunft‘ oder ‚Abstammung‘ eine negative Folge knüpft.

Menschen also auf eine in ihrer Stoßrichtung bösartige Weise reduziert; das muss mitnichten als bewusst ablaufende Handlung vonstatten gehen. Gerade in vom Korpsgeist geprägten Einheiten der Polizei, Gefängnisse, Armee finden neu eintretende Beschäftigte eine entsprechende Kultur vor, der sie sich nur noch anzupassen brauchen. Was ihnen, wie vorstehend angedeutet, aufgrund ihrer eigenen Disposition meist nicht sonderlich schwer fällt.

In ihren besonders exzessiven und besonders bösartigen Variationen kommen dann Menschen zu Tode, werden schlicht ermordet!

No justice! No peace!

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV)

Hermann-Herder.Str.8

D-79104 Freiburg

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Gericht erklärt elektronischen Fußfesseleinsatz für rechtswidrig

Kürzlich entschied das Landgericht (LG) im Südbadischen Freiburg, dass der Einsatz der elektronischen Fußfessel am 29.11.2019 rechtswidrig gewesen sei.

Zur Vorgeschichte

Vor Jahren entkam der baden-württembergischen Justiz ein zu lebenslanger Freihaftsstrafe Verurteilter im Rahmen einer (von Beamten bewachten) Ausführung. Im Zuge dessen plante der Justizminister in Stuttgart ein Gesetz, welches es künftig erlauben sollte allen zu lebenslanger Freiheitsstrafe und in der Sicherheitsverwahrung sitzenden Menschen, für die Dauer der Ausführung eine elektronische Fußfessel anzulegen (vgl. auch meinen Beitrag vom 24.09.2019 unter https://de.indymedia.org/node/37786).

Die Klage vor dem LG Freiburg

Am 29.11.2019 konnte ich die JVA Freiburg für ein paar Stunden verlassen um spazieren und einkaufen zu gehen, bewacht von zwei Uniformierten – und eben jenes kleine schwarze Kästchen am Fuß, die elektronische Fußfessel. Mit Schriftsatz vom 2.12.2019 wendete ich mich hiergegen an das Landgericht Freiburg. Ich trug vor, dass in formeller Hinsicht die Maßnahme rechtswidrig sei, da man sie mir gegenüber gar nicht erst begründet habe. Aber auch inhaltlich sei sie fehlerhaft, denn ich hatte 20 Ausführungen unbeanstandet durchgeführt. Dies habe die JVA aber nicht ansatzweise berücksichtigt.

Seitens der Anstalt wurde vorgetragen, dass ich keine Einblicke in mein Inneres zulassen würde und keine Entlassungsperspektive hätte. Insofern sei von einer gewissen Uneinschätzbarkeit und einem erhöhten Fluchtanreiz auszugehen.

Die Entscheidung vom 9.6.2020

Mit Beschluss vom 9.6.2020 entschied das Landgericht Freiburg (Az. 13 StVK 785/19), dass die angeordnete elektronische Aufenthaltsüberwachung bei der Ausführung rechtswidrig gewesen sei. Zu Unrecht habe die Anstalt es nämlich unterlassen die bislang unbeanstandet durchgeführten Ausführungen in ihre Überlegungen einzubeziehen, so Richter K.

Nur ein Zwischensieg?

Nun bleibt erst mal abzuwarten, ob die Anstalt oder das vorgesetzte Ministerium in die nächste Instanz vor das OLG ziehen werden. Zum anderen müsste die JVA künftig einfach ausführlicher und unter Einbeziehung aller Umstände besser begründen.

Zumindest zeigt die Entscheidung (vorerst), wie oberflächlich die Haftanstalt einen nachhaltig die Grundrechte berührenden Eingriff begründet hat. Mutmaßlich würden auch alle anderen betroffenen Insassen, und das sind dutzende, entsprechende Verfahren gewinnen. Schon in Haft sollen jedoch möglicherweise die Betroffenen an die künftige Totalüberwachung gewöhnt und entsprechend konditioniert werden.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV),
Hermann-Herder-Str.8, D-79104 Freiburg

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Corona hinter Gittern – Interview mit Sputnik

Sputnik hat mit Thomas ein Interview zu den Corona-Maßnahmen im Knast geführt.
Hier der 1. Teil des Interviews, die audio-Datei ist am Ende des Textes.

https://de.sputniknews.com/gesellschaft/20200618327392335-corona-im-knast/

Strafraum – Absitzen in Freiburg! Eine Rezension

Vor wenigen Wochen erschien im Herder-Verlag (https://www.herder.de/) anlässlich der 900-Jahre Freiburg ein 112 Seiten Buch, welches umfänglichen Einblick in den Haftalltag gewährt.

Das Buchprojekt – es war zuerst ein Fotoprojekt

2020 wollte die Stadt eigentlich groß das 900-Jahr-Jubiläum feiern, bis dann Corona dazwischen kam. Während der Vorbereitungen fiel irgendwann auf, dass das in der Stadtmitte gelegene Gefängnis im Grunde gar nicht vorkommen würde. Einer Freiburger Fotografin, Frau Schilling, einer Filmemacherin, Frau Dettmer-Finke, aber auch dem evangelischen Anstaltspfarrer Philippi ist zu verdanken, dass im Zuge intensiver Gespräche ein Foto – und Informationsprojekt „Strafraum – Absitzen in Freiburg“ in Gang kam. Da Aufnahmen innerhalb der Anstalt erfolgen sollten, musste auch das Justizministerium in Stuttgart eingebunden werden, bis zur Hausspitze, dem Minister.

Ab Mitte Juni befinden sich an der Außenmauer der Haftanstalt große Plakate, die Gefangene auf Plastikstühlen sitzend zeigen. Von hinten fotografiert. Auf der Gegenseite, also der Innenseite der Mauern, sieht man die selben Insassen, diesmal jedoch von vorne aufgenommen.

Aus den Fotos entstand dann das Buch ….(vgl. auch: https://www.strafraum-freiburg.de)

Das Buch – über die Textbeiträge

Die beiden Künstlerinnen, sowie der ehemalige Herausgeber und Chefredakteur der Badischen Zeitung, Thomas Hauser, sie gewannen ganz unterschiedliche Autorinnen und Autoren für textliche Beiträge, so dass es am Ende eben kein reines Bilderbuch wurde.

Der ehemalige langjährige Gefängnisleiter Thomas Rösch gibt Auskunft über Gewalt und Drogen, zumindest wie er die Problematik beurteilt. Peter Asprion, pensionierter Bewährungshelfer und früher selbst Sozialarbeiter in der JVA Freiburg berichtet aus seiner Arbeit und der Wirksamkeit von Bewährungshilfe.

Dr. Rath, er schreibt unter anderem für die taz, problematisiert die Frage, ob Nationalitäten in der Medienberichterstattung zu Kriminalfällen von Relevanz sind und kritisiert, dass „Ausländerkriminalität überdimensioniert häufig thematisiert“ werde.

Eine Lehrerin, die im Abiturkurs Geschichte und Politik unterrichtet, Anita Firner, berichtet von einem Unterrichtsprojekt, in welchem gefangene Schüler  mit SchülerInnen eines beruflichen Gymnasiums in einen Dialog über das „Freisein“ traten. Was bedeutet Freiheit den jungen Menschen am Gymnasium – und was den beteiligten inhaftierten Schülern!

Weitere Beiträge befassen sich mit der Gefängnisarchitektur (Wulf Rüskamp), grundlegender Kritik an der Sinnhaftigkeit von Gefängnissen seitens Thomas Galli (einem früheren Anstaltsleiter und heute als Rechtsanwalt tätigen Autoren), nähern sich dem Sinn von Strafe philosophisch (Martin Hochhuth), vergessen aber auch die Frage nach den Opfern nicht (Michael Kilchling). Womit die Aufzählung des sehr dichten Bandes aber keineswegs abschließend wäre.

Das Buch – über die Bildaufnahmen

Britt Schilling gelingt es mit nüchternen Aufnahmen Einblicke in die Gefängniszellen zu gewähren, wie sie sonst selten zu finden sind. Stille Aufnahmen, wie beispielsweise von einem Teller mit zwei Würstchen, zwei Brötchen und einer Schüssel eines undefinierbaren Eintopfs, dazu das Plastikbesteck einerseits, und Aufnahmen die Leben ausstrahlen: Der rauchende Insasse, der einen Boden fegende Arbeiter, andererseits.

Besonders berühren mich die Aufnahmen von Briefen. Schilling hatte an einem Gesprächskreis mit Gefangenen und dem evangelischen Anstaltspfarrer teilgenommen. Daraus entstand die Idee, jeden Tag exakt um 17.15 Uhr zu notieren, was den Beteiligten gerade beschäftigt – und die Fotografin würde ihrerseits ein Foto machen, egal wo sie gerade wäre.

Ein ganzes Jahr lang lief dieses Projekt und nun kann man einige der Briefe lesen, die Notizen der Gefangenen, sowie Bilder sehen, welche Britt Schilling gemacht hatte. Hier begegnen einem die Insassen als Menschen, mit all ihren Sorgen und in ihrer Alltäglichkeit.

Resümee

Das Buch kann nur einen kleinen Ausschnitt darstellen, aber es verhält sich durchaus kritisch zum Themenkomplex Strafvollzug und Sinn von Strafe. Gerade weil die AutorInnen sich weitestgehend dem bürgerlichen Spektrum zuordnen lassen, besteht vielleicht die Chance, dass die Strafkritik auch weiter in die Gesellschaft hinein verbreitet wird. Daneben bieten die großformatigen Fotos jedoch jeder/jedem Interessierten einen anschaulichen Einblick hinter die Mauern eines Gefängnisses.

Bibliografische Angaben:

„Strafraum – Absitzen in Freiburg“

Hrsg.: Dettmer-Finke, Hauser, Schilling

Herder-Verlag, Preis: 15,– €

ISBN: 978-3-451-38822-4

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – SV-Abtlg., Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

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Aktuelle Zahlen zur Sicherungsverwahrung

Kürzlich fragten Ulla Jelpke (Die Linke, Bundestagsabgeordnete) und weitere Abgeordnete die Bundesregierung nach der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2011 im Bereich der Sicherungsverwahrung. Mit Schreiben vom 17.3.2020 antwortete die Bundesregierung.

Statistisches Material

In der Bundestagsdrucksache 19/18038 (online aufrufbar unter dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/180/1918038.pdf ) stellt die Regierung die Entwicklung der Zahl der Sicherungsverwahrten seit 2009 dar. Gab es damals bundesweit 512 Verwahrte (darunter 3 Frauen), sind es mit Stichtag 30.09.2019 schon 574 (darunter 1 Frau). Ein Anstieg von rund 12%. Der insofern bemerkenswert ist, weil in Folge von Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte 2009/2010 und des Bundesverfassungsgerichts 2011 die Zahl der Insass*innen Ende 2012 auf 465 Verwahrte (davon 3 Frauen) sank. Seitdem also um satte 23,44% stieg.

Schaut man sich noch die Zahl jener Verwahrten an die es in den Offenen Vollzug schaffen, melden die meisten Bundesländer regelhaft die Zahl Null! Mit Stichtag 30.9.2019 befanden sich bundesweit nur 6 Verwahrte in dieser Vollzugsform. In Baden-Württemberg beispielsweise ein Mann. Dort war man schon weiter, im Jahr 2015 befanden sich alleine in Baden-Würtemberg 8 Männer im offenen Vollzug. Ein Rückgang also um fast 90%!

Ausweichende Reaktionen ansonsten

Fragen zu konkreter Ausgestaltung des Haftalltags weicht die Bundesregierung unter Hinweis darauf, der Vollzug sei Sache der Bundesländer aus, mithin sei man nicht zuständig.

Private Umfragen haben ergeben, dass sich die materiellen Haftbedingungen von Bundesland zu Bundesland eklatant unterscheiden: angefangen bei der Größe der Zellen (von 14 qm bis zu fast 25 qm. Manche Bundesländer haben Herde und Dusche in die Zellen eingebaut, andere nur ein Waschbecken), über Zellenöffnungszeiten, Paketempfang, Ausstattung der Zellen, und so weiter. Aber auch das therapeutische Angebot differiert erheblich, so dass es letztlich vom Zufall abhängt, ob Verwahrte entsprechend umfängliche Angebote erhalten oder aber in größeren Zellen leben dürfen, als ihre Verwahrtenkolleg*innen in anderen Bundesländern.

Völlig unterbelichtet

Gar nicht thematisiert wird das Problem der Langzeitverwahrten, jene zahlenmäßig immer größer werdende Gruppe von Verwahrten, die schon über 10 Jahre in der SV festgehalten werden. Hat das Bundesverfassungsgericht schon 2004, und danach 2011, eine Verwahrung über 10 Jahre hinaus nur in absoluten Ausnahmefällen für zulässig gehalten, scheint sich für nicht wenige Verwahrte die 10 Jahresgrenze nur „Mindestdauer“ mit offener Grenze nach oben darzustellen. Alleine in Freiburg sitzen mehr als 10% der Verwahrten über 10 Jahre in der SV, einer steuert auf die 20 zu! Ein Großteil auf die 10 Jahre.

Sicherungsverwahrung wurde von den Nationalsozialisten eingeführt

Dankenswerterweise weisen Jelpke und Kolleg*innen in ihrer Vorbemerkung zur kleinen Anfrage auf die Genese der SV hin. Dass es nämlich die Nationalsozialisten waren, die anno 1933 die Sicherungsverwahrung in das Strafrecht aufgenommen hatten.

Zu ergänzen wäre noch, das in den 50er Jahren das Oberste Gericht der DDR die Sicherungsverwahrung für unvereinbar mit der Rechtsordnung dort beurteilte, weil die SV insbesondere „nationalsozialistischen Ungeist“ atme.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg

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Zum Autor: Nach Vollstreckung von 16 Jahren 9 Monaten Freiheitsstrafe (1996-2013), befindet er sich seit 8. Juli 2013 im Vollzug der Sicherungsverwahrung

Die ganze Welt hasst die Polizei?

Vor einer Weile diskutierte ich in der JVA Freiburg mit einer
Knastpsychologin über einen Aufkleber mit dem Text „Die ganze Welt hasst
die Polizei“. Jetzt wurde (mal wieder) in den USA ein Afroamerikaner,
George Floyd, von weißen Polizisten umgebracht. Da erinnerte ich mich an
ein Urteil aus Bayern: 4.000 DM kostete es eine (weiße) Polizistin, als
sie in Nürnberg einem Griechen vier Mal in den Rücken schoss…

Frau Psychologierätin W. und ihr Verhältnis zu Stickern

Als man im November 2019 meine Zelle durchsuchte, fanden sich u.a. ein
paar Aufkleber, darunter der eingangs erwähnte. Der Psychologin wurde
die Weisung erteilt, mit mir über den Inhalt der Aufkleber zu sprechen.
Wie sie mir dann im Gespräch erklärte, offenbare ein solcher Text
Hinweise auf eine möglicherweise fortbestehende und tief sitzende
feindselige, aggressive Haltung, insbesondere gegen staatliche Organe.
Das sei für jemanden wie mich, der eine entsprechende Vorgeschichte
habe, von hoher prognostischer Relevanz. Alleine das Aufbewahren eines
solchen Aufklebers sei schon Indiz für eine kriminalitätsfördernde
Grundhaltung.

Die Ermordung von George Floyd

Es wäre interessant zu wissen, was die Psychologierätin aus Südbaden
voller Empathie den Angehörigen und Freunden von George Floyd sagen
würde, dem Polizisten so lange die Luft abschnürten, bis er qualvoll
erstickte. Eben jene „staatlichen Organe“, die sie so vehement
verteidigt. Und würde es nicht die Videoaufnahmen der Ermordung geben,
der Tod von George Floyd wäre kaum über die Stadtgrenzen von Minneapolis
hinaus bekannt geworden.

Ein erschossener Grieche in Nürnberg

Vor rund 21 Jahren starb in Nürnberg ein Grieche durch mehrere Schüsse
in den Rücken. Wie die taz damals berichtete, wollte er sich einer
Ausweiskontrolle entziehen, er rannte weg. Die Polizistin zückte die
Pistole und schoss ihm mehrfach in den Rücken, denn sie glaubte, wie sie
später aussagte, eine Waffe gesehen zu haben. Nur war dann weit und
breit keine solche aufzufinden. Der Mann überlebte nicht. Allerdings
gelten Schüsse in den Rücken wohl schon seit jeher als Beleg für
Notwehr, zumindest in Bayern und so wurde der Polizistin Putativnotwehr
zugestanden, eine „wahnhaft angenommene Notwehrsituation“ und mit 4.000
DM war die Sache erledigt. Hätte nicht die Mutter des Opfers hartnäckig
insistiert, wer weiß ob es dann überhaupt zu diesem Urteil gekommen
wäre. In zeitlicher Nähe zu diesem Geschehen, so berichtete damals auch
die taz, wurde jedoch Hans Söllner, ein bekannter politischer
Liedermacher aus bayrischen Gefilden, zu einer 6-stelligen (!)
Geldstrafe verurteilt, weil er sich ein mehr oder weniger originelles
Wortspiel auf der Bühne erlaubt hatte und den damaligen bayrischen
Innenminister mit einem Klostein verglich. Über 100.000 DM für die
verletzte Ehre eines Ministers!
Damals saß ich in Isohaft in Bruchsal und kommentierte in einem Brief an
besagten Minister beide Urteile; meine Wortwahl, so fanden später die
RichterInnen, habe den Tatbestand der Beleidigung und Bedrohung erfüllt:
7 Monate Freiheitsstrafe!

Der sächsische Innenminister fordert Fingerspitzengefühl

Ende Mai forderte der sächsische Innenminister in einem Radiointerview
mit mdr-info seine Polizeikräfte auf, im Umgang mit den „Hygienedemos“
die sich gegen die Corona-Maßnahmen richten, Fingerspitzengefühl zu
zeigen, behutsam vorzugehen und Augenmaß zu bewahren. Solche sanften
Töne waren aus seinem Munde noch nie zu hören, wenn es galt linke Demos
wegzuprügeln. Sobald sich aber seine potentielle eigene Wählerschaft,
oder die der AFD auf den Straßen tummelt, hat jedeR sächsische
PolizistIn größtmögliche Zurückhaltung an den Tag zu legen und der
Knüppel hat am Gürtel hängen zu bleiben.

Resümee

In den USA töten weiße Polizisten nach wie vor Afroamerikaner – und auch
in Deutschland töten immer wieder Polizeikräfte wehrlose Menschen, wobei
MigrantInnen besonderen Gefahren durch Polizeigewalt ausgesetzt sind.
Die Ehre eines Ministers ist eine sechs-stellige Summe wert. Der Knüppel
bleibt im Sack, wenn der Minister nicht seine Wählerschaft verlieren
will. Aber einer Psychologin in der badischen Provinz fällt nichts
besseres ein, als einen Aufkleber zum Indiz für eine erhöhte Gefahr künftiger Straffälligkeit zu stilisieren.

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV)
Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com/
https://freedom-for-thomas.de/

Radiobeiträge von Ausbruch – die Antirepressionswelle

hier die links zu diversen Beiträgen von Thomas:

https://rdl.de/beitrag/situation-die-freiburger-sicherungsverwahrung-05.2020

https://rdl.de/beitrag/menschen-sind-nicht-geboren-um-ihr-leben-hinter-mauern-und-stacheldraht-zu-verbringen

https://rdl.de/beitrag/radikale-corona-ma-nahmen-jva-freiburg

https://rdl.de/beitrag/einblick-die-situation-der-knastzelle